Protestwegschalten

Dank der olympischen Spiele ist ja mal wieder das Thema “Was darf man im Fernsehen gucken” in der Öffentlichkeit und damit auch in den Medien.

Lustigerweise ungefähr bis 20 Minuten vor Beginn der ersten Übertragung.

Denn wenn erst einmal Spiele sind, schauen am Ende doch wieder (fast) alle. Und der ach-so-wichtige politische Aspekt tritt in den Hintergrund.
Ich würde ja sagen “hab ich ja vorher gesagt”. Hab ich aber nicht. Nur gedacht.

Irgendwo hab ich am Samstag nach der Eröffnungsfeier gelesen, dass damit ja auch die Hoffnung auf politische Veränderung verbunden sei. Immerhin hätten Chinesen auch für die Mannschaft von Taiwan geklatscht. Ich sag jetzt mal nichts über naive Idealisten und so.

Schön, wenn ihr das glaubt. Und wenn ihr damit die Ausrede habt, die Spiele so zu bejubeln wie jedes Mal. Bitte. Macht das.

Aber zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Das “Wegschalten” aus Protest. Die damit verbundene Logik sagt ja ungefähr:
“Wenn ich Sendung XY nicht schaue, dann sinken die Einschaltquoten und damit die Werbeeinnahmen. Dadurch werden die Sender dann dazu gebracht die Sendung nicht mehr zu zeigen/produzieren, weil sie damit kein Geld verdienen”.
Dieses Motto wird für Olympia dann noch ungefähr soweit verlängert dass ja dann
“China damit weniger Einnahmen generiert und deshalb über seine Politik nachdenkt”.

Schritt 1:
Rein faktisch werden die für Werbespendings relevanten Einschaltquoten ungefähr wie folgt ermittelt: Es gibt eine Auswahl an Haushalten, in Deutschland sind das knapp 6.000, die von der GfK ein Gerät bekommen. Diese Haushalte sind zufällig ausgewählt – also quasi nach den Grundlagen der repräsentativen Stichprobenziehung. Das heißt sie können als Stellvertretend für die Gesamtmenge der Fernsehgucker in Deutschland verstanden wirken. Wenn also jemand der so ein Gerät zuhause stehen hat eine Sendung guckt, steht er damit für 1/6.000 der Gesamtbevölkerung. Jeder andere (!) kann sehen was er will oder nichtsehen was er will. Es hat keinen Effekt auf die “Einschaltquoten”. Natürlich hat es einen reellen Effekt auf die Gesamtanzahl derjenigen die eine Sendung schauen, nur merkt es eben niemand so wirklich.

Wenn ihr also aus politischen Gründen wegguckt, wird das höchstwahrscheinlich niemand mitbekommen, der an irgendeiner entscheidenden Stelle sitzt.

Schritt 2:
Die Werbeausgaben werden in der Regel vorher vereinbart. Das heißt, dass China bzw. das IOC bereits den Betrag X einplanen kann. Wenn jetzt niemand zuschaut, beißen sich die Sponsoren möglicherweise sonstwohin und ärgern sich, möglicherweise werden die Werbeausgaben für die nächsten Spiele (London) auch gesenkt. Aber in Beijing ist der Umsatz den die Briten mit “ihren” Spielen machen vermutlich ziemlich irrelevant.

Wenn ihr also wegguckt, wird das höchstwahrscheinlich nicht die Chinesen treffen.

Schritt 3:
China ist eine Volkswirtschaft mit irgendwo um/bei 1,3 Milliarden Einwohnern. 1.300.000.000! Diese Volkswirtschaft hat im Jahr 2007 allein Waren im Wert von 955 Milliarden US$ eingeführt. 955.000.000.000! Die Spiele in Turin und Peking haben Marketingeinnahmen in Höhe von 5 Milliarden Dollar generiert. Nehmen wir einfach mal an, dass davon ein größerer Teil durch die Sommerspiele kommt. Meinetwegen 3,5 Milliarden. Das sind 3.500.000.000. Rechnet das einfach mal gegeneinander. Das sind pro Chinese gerade noch 2,70$. Im Umkehrschluss hätte das den Effekt, den es in Deutschland gehabt hätte, wenn die WM 2006 160 Millionen Dollar eingebracht hätte. Wenn überhaupt. Und jeder der WM Hauptsponsoren hat damals allein 40 Millionen investiert.

Und diese Einnahmen gehen ja nichtmal vollständig nach Beijing. Die Relevanz der reinen Geldumsätze ist also klar.

Wenn ihr also was anderes schaut, interessiert das in China finanziell erstmal niemanden.

Schritt 4:
Aber das Image!
Ja, China ist sicherlich darauf bedacht durch die Spiele sein Bild im Rest der Welt positiv darzustellen. Aber mal ehrlich, glaubt ihr dass ein paar Deutsche, die sich die Spiele nicht ansehen da wen kümmern? Die Spiele sind eine Demonstration wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Eine Demonstration logistischer Fähigkeiten. “Seht her, die Chinesen können sowas organisieren”. Und am Ende ist es das, was für die Organisatoren zählt. Nicht dass es “sympathisch” war.

Wenn ihr also wegseht, werden eure nächsten Turnschuhe vermutlich trotzdem in China zusammengeklebt.

Fazit:

Schaut ruhig was anderes, guckt weg, wenn ihr möchtet. Vielleicht interessiert es euch auch einfach nicht. Alles kein Thema. Aber hört doch bitte auf mit zwei Dingen:
Anderen zu erzählen, wie sie sich richtig verhalten müssten, um die Ungerechtigkeit in dieser Welt zu lindern und zu behaupten ihr würdet die Welt retten.

Macht ihr nicht.

So schon gar nicht.

5 Gedanken zu „Protestwegschalten

  1. Zu 1)
    Es sind nicht NUR die (offiziell ermittelten) Einschaltquoten, welche als Indikator für das Interesse gelten. es gibt genügend andere Marktforschungen und andere Erhebungen, die ein Meinungsbild aufzeigen.

    Zu 2) Ein Jetzt-Weggucken wird ganz sicher nicht die aktuellen Sponsoringsummen beeinflussen, aber die nächste WM/EM oder auch andere, durch Sponsorengelder vom Sport zum Kommerz verschobene, Veranstaltung KANN durch jetziges Verhalten beeinflusst werden.

    Zu 3) Die Sponsorengelder gehen zu einem vernichtend geringen Prozentsatz zum chinesischen NOC. Die gehen an ALLE NOCs sowie zu dem IOC. Insofern ist deine Rechnung grundlagenlos – sorry.

    Zu 4) Du hast schön dokumentiert, dass ein Umdenken und „Umverhalten“ VIEL weitreichender sein muss, als nur an den olympischen Spielen festzumachen. Auch sind sporliche Grossveranstaltungen nicht nur eine Demonstration der Machbarkeiten, sondern AUCH eine generelle „Publicityveranstaltung“. Siehe zum Beispiel die Fussball WM 2006 in Deutschland. Diese brachte AUCH die „Information“ dass die Deutschen gastfreundlich sind, feiern könne etc. All diese „Informationen“ wurden AUCH von der WM in die Welt getragen.

    Meine persönliche Meinung ist, dass deine Darstellung der Dinge irgendwie aus der resignierenden Ecke „Macht ruhig weiter und macht euche keine Gedanken“ kommt, was ich sehr-sehr schade finde. Auch wenn eine weggeworfene Zigarettenkippe das Stadtbild nicht verschandelt, so können alle Raucher doch dazu beitragen, das es wirklich dreckig wird.

    Just my 2c

  2. @Reizzentrum erstmal danke für den ausführlichen Kommentar.

    zu 1. In der Regel wird aber – auch bei Werbetreibenden – hauptsächlich eben auf die GfK Quoten geschaut.

    zu 2. Eben. Nur wenn man explizit in China was ändern möchte (Stichwort Tibet), dann ist London 2012 aber der falsche Addressat.

    zu 3. Du hast natürlich recht mit dem Hinweis. Mein Argument ist aber eigentlich auch ein anderes: Selbst wenn die all das Geld bekommen, ist das einfach zu wenig um damit Einfluss zu verknüpfen. Allein 40 Milliarden Euro Kosten für Sporstätten gegenüber 5 Milliarden Marketingeinnahmen. Da ist dann auch egal, wieviel von dem Kuchen China wirklich bekommt.

    zu 4. Ja, aber die Frage ist, wie relevant dies für China gerade ist.

    zu deinem 5. Punkt: Ich bin nicht resigniert. Überhaupt nicht. Mal unabhängig davon, ob ich das Thema China/Tibet oder das Thema Kommerz im Sport für wichtig erachte geht es mir eigentlich viel mehr darum, dass man wenn man ein Ziel verfolgt doch bitte sinnvoll handelt anstatt – wie leider so oft – symbolische Akte hilfloser ignoranz durchzuführen.

    Will ich vermeiden, dass Sponsoren Geld in kommerziellen Sport pumpen kann ich ja z.B. aufhören deren Produkte zu kaufen. Versuchen andere zu mobilisieren genauso zu handeln etc.

  3. Der grosse Unterschied zwischen unseren Herangehensweise ist, dass ICH versuche so viele Menschen wie möglich zum kritischen NACHdenken zu bewegen und die Essenz deines Beitrages in die (wie schon oben angesprochene) Richtung geht:“Macht ruhig weiter wie bisher“-Ecke geht. Aufgrund deiner Darstellung wird der geneigte Leser sich weiterhin von dem Kommerz verarschen lassen und nicht einmal versuchen etwas zu ändern „Bringt ja eh alles nix“.

  4. Sehe ich ganz anders 🙂 Nur weil ich aufzeige wo die kritiklos übernommenen Allgemeinplätze leere Hülsen sind sage ich doch nicht gleichzeitig „denkt nicht nach“. Eigentlich (jedenfalls mein Ziel) will ich eher sagen „denkt selber nach“.

    Dass das bei dir so nicht ankommt mag ja so sein, wobei du da ja – gerade aufgrund deiner intensiven Beschäftigung mit derartigen Themen – eh im Prinzip nicht als „Adressat“ meines Beitrags zu verstehen bist. Du denkst nach. Das weiß ich. Und dass wir verschiedene Ansichten z.B. zum Thema Kommerzialisierung und Sport (speziell im Zusammenhang mit Olympia) haben weißt du. Von daher sollte es dich doch nicht überraschen, dass ich persönlich dort keinen Handlungsbedarf sehe.

  5. Pingback: Bloggerprojekt: Olympia 2008 | Curi0us | CopperLane

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