Ignoranz?

Wenn ich vom Büro nach Hause will, muss ich durch den Hamburger Hauptbahnhof. Im Fahrstuhl Stöpsel ins Ohr, Musik auswählen, raus und durch.

Ich sehe jetzt nichts wirklich richtig.

Alles ist surreal.

Die Musik dröhnt. Ich gehe meinen gewohnten Weg. Schnell. Nicht aus Angst. Weil ich immer schnell gehe. Links der Bäcker, bei dem ich früh den Kaffee kaufte. Weiter hinten der Häagen-Dasz-Laden mit dem leckeren Eis. In der Mitte irgendwelche Promo-Stände.

Menschen?

Ja, klar. Aber interessieren mich nicht. Nicht wirklich.
Bestenfalls schaue ich einer hübschen Frau hinterher.
Aber mehr?

Nein.

Wenn ich durch die Wandelhalle hindurch bin, also auf der Rückseite des Bahnhofs, wird es ghettoartig: Rechts die Apotheke, dahinter die Polizeiwache.
Irgendwo ist eine Treppe runter zur S-Bahn. Dort stehen immer viele in deren Freizeit scheinbar „am Hauptbahnhof rumstehen“ dazugehört. Meinetwegen, mir egal. Aber eigentlich „Haben die kein Zuhause?“. Vielleicht wirklich nicht. Vielleicht gibt es für diese Menschen nichts anderes?

Abschalten.

Plötzlich ein Sport-Team in roten T-Shirts. „Alkoholmannschaft“. Lustig? Nicht wirklich.

Weiter.

Runter zur U-Bahn. Irgendwer hält mir eine offene Hand in den Weg. Ich achte nicht drauf, gehe weiter. Gleich kommt die U-Bahn die ich erreichen will.
Jugendliche lärmen.
Waren wir früher auch so? So ähnlich bestimmt. Aber ich mochte die meisten meiner Schulkameraden damals auch nicht. Warum also heute deren Nachfolger.

Weiter.

Rechts jetzt der Brötchenstand. Gegenüber ein anderer. Runter zum Gleis. Während ich die Treppen hinab eile spüre ich den Luftzug. Unten müht sich eine Mutter zwischen all den Menschen allein den Kinderwagen die Treppe hinauf zu bekommen.

Vorbei. In die U-Bahn. Sitzplatz. Ich mache es mir gemütlich und hole mein Laptop raus. Drehe die Musik etwas leiser. Lese.

Im Waggon lärmen Kinder. Ein Vater schreit seinen Sohn an. Drehe die Musik wieder lauter. Und wieder: Haben die kein Zuhause? Muss man das hier machen? Ohlsdorf, spätestens Langenhorn Markt steigen die meisten aus. Vor allem die störenden. Ohne Langenhorn-Markt hätte ich gefühlt die ganze Fahrt ruhe.

Endlich am Zwischenziel. Aussteigen. Die Treppe hoch zum Bus.

Warten.

Hinter mir die Kneipe. Uschis Bahnhofseck oder so. Darin läuft laute Schlagermusik. Die Gäste gröhlen mit. es ist 19:00 und die ersten Schnapsleichen drinnen. Wie arm.

Daneben ein Dönerladen. Glaube immer die selben Gesichter zu sehen. Verschwimmt. Vorurteil in mir sagt ungebildet. Sagt dumm. Sagt armselig.

Moralinstanz sagt ich sollte differenzieren. Aber Menschen die radfahrenden Frauen hinterher grölen will ich nicht differenzieren. Menschen die jeden Tag mit Dosenbier am Bahnhof stehen. Will nicht. Wozu.

Der Bus kommt. Rein. Musik wieder lauter. Busgeräusche sind anders als U-Bahngeräusche. Glaube ich kann am Geräusch sagen in was für einem Busmodell ich sitze. Neuere summen eher, ältere Brummen. Wieder: Anstrengende Jugendliche. Machen Krach. Aber auch die steigen bald aus. Glashütte Markt. Spätestens.

Ab jetzt sitzen zu 50% immer dieselben Gesichter hier. Gesichter mit denen ich was verbinde. Mit-Dörfler. Zwei kennen sich offenbar, treffen sich öfter am Bus und unterhalten sich. Zwei ältere Damen scheinen von der Busfirma zu sein. Plaudern oft mit dem Busfahrer. Ich weiß sogar wo sie aussteigen. Schlimm. Will ich mir nicht merken. Mache es trotzdem.

Endlich daheim. Der geistige Filter setzt ein. Rest-Erinnerungen verblassen.

Jetzt Mails checken. Blogs lesen. Abendessen.

Ich bin wieder in meiner Welt.

Irgendwas besonderes? Nein. Interesse? Keins. Geheuchelt maximal: Diese armen Menschen. Und dabei schon wieder ein zynisches Grinsen auf den Lippen.

Zapp. Fernsehen. Fußball. Zapp. Internet. Zapp. Duschen. Zapp. WII spielen. Zapp. Chatten. Austausch mit Menschen auf „meiner“ Wellenlänge. Oft belanglos.

Vielleicht sollte man sich auch mit den anderen beschäftigen. Wahrscheinlich. Mit denen, die am Bahnhof stehen. In der U-Bahn lärmen. Jedes Einzelschicksal ist wichtig. Heißt es.

Glaube ich daran? Ich weiß nicht. Ich bewerte.

Ich sortiere in (für mich) wichtige und unwichtige Schicksale.

Kann mich nicht um jeden kümmern.
Jeden Mögen.
Jeden für relevant halten.

Bin ich ignorant?

Give me something to sing about!

Zugegeben: Ich habe in den letzten Wochen nicht wirklich viel gebloggt hier.

Ab und zu mal einen oder zwei Beiträge, aber großartig produktiv war ich nicht. Wenn ich mich an meinen eigenen Ansprüchen messe, die ich mir auferlegte als ich mit diesem Projekt anfing, müsste ich sagen ungenügend. Im September hatte ich noch die Idee jeden Tag einen neuen Beitrag zu veröffentlichen. Nach dem die Anfangseuphorie dann verflogen, die Gewohnheit eingetreten, und mich der Oktober durch eine längere durch Krankheit verursachte Schaffenspause bremste, wurde es dann weniger. Seit Januar klappt es jedoch ganz gut. Ich habe meine Ziele meiner Realität angepasst. Schreib, wenn du was zu sagen hast. Halte die Klappe, wenn dir nichts einfällt. Aber heimlich wünsche ich mir natürlich schon, dass hier jeden Tag oder wenigstens alle zwei Tage was passiert. Und klar ist, es liegt nur an mir.

Klingt als hätte ich nichts zu sagen? Doch:

Tweet! Plirk!

Meine Internetgeschichte – bzw. der Teil meiner Internetgeschichte, der was mit sozialen Kontakten zu tun hat – fängt im IRC an. Vor inzwischen gut 11 Jahren. Ich bin also im Prinzip da sozialisiert worden. Damals noch mit Minutenpreisen im zweistelligen Pfennigbereich. Selbst als ich intensiver anfing das Netz zu nutzen, waren das vor 21:00 Uhr noch 12 Pfennig, alle 2,5 Minuten. Vor 18:00 Uhr war es noch einmal teurer. Das führte damals dazu, dass die Kommunikation sehr intensiv war. Fast alle User waren zwischen 21:00 und 23:00 „da“. Und in dieser Zeit wurde geredet, was das Zeug hielt. Irgendwann kamen dann die Flatrates. Die Usage verteilte sich über den Tag. Bzw. wir „Core Chatter“ waren einfach immer da. Wenigstens technisch. Das war so ungefähr 1999. Die Kommunikation wurde etwas mehr, aber eben nicht so viel, wie nötig gewesen wäre, um die ganze Anwesenheit zu füllen. Chatten wurde langweiliger. Niemand war mehr an diesen 2-Stunden-Slot gebunden, so dass aus größeren Gruppen die zeitgleich redeten immer kleinere wurden. Wir waren ja eh immer in der Lage reinzuschauen. IRC wurde weniger interessant und irgendwann verabschiedete ich mich mehr oder weniger unbewusst davon.

Hatte einfach nicht mehr das Bedürfnis. Vor etwa 1,5 Jahren dann, habe ich wieder reingeschaut. Nett. Die alten Leute wiedersehen und wieder kommunizieren. Einige waren inzwischen – wie ich – berufstätig. Das limitiert den wirklich aktiven Zeitraum wieder und so entstand wieder Kommunikation. Aber nach einer Weile wurde das dann doch wieder weniger interessant. Ich bin immer noch im IRC, aber irgendwie in den falschen Räumen oder so. Es gibt Tage, da sage ich dort gar nichts.

Und jetzt kommt Twitter ins Spiel: Twitter erhebt nämlich nicht den Anspruch von Echtzeit. Das ist, wenn man sich darauf einlässt ein unglaublicher Vorteil. Ab und zu entwickeln sich eben kleinere Dialoge, aber meistens ist es eben nur das – ich schrieb es neulich schon – Rauschen im Äther. Und Twitter nimmt inzwischen einen Teil meiner „Kommunikations-Energie“, die sonst in mein Blog geflossen ist auf. Frau Jekylla hat gestern nicht ganz falsch angemerkt, dass beides nicht geht. Bloggen und Twittern. So extrem sehe ich das nicht, aber ihr Blog ist auch dynamischer als meines. Und mit irgendwo bei 50 Kommentaren pro Artikel ist der Aufwand und der Kommunikationswert natürlich größer. Twittern jedenfalls macht, dass ich über kleinere Dinge nicht mehr blogge. Das ist vielleicht irgendwie schade, weil aus den 140 Zeichen die man in Twitter schreibt durchaus ein 1400 Zeichen Artikel werden könnte. Aber im Moment ist es einfach so. Ich will mich da auch nicht zu sehr in irgendein Korsett zwängen.

Seit Freitag nun gibt es weitere Konkurrenz im Hause Curi0us: Plurk. Irgendwie wie Twitter in horizontal, aber doch irgendwie auch ganz anders. Plurk lebt auch von kurzen Mitteilungen. Der für mich große Unterschied ist aber, dass es neben den einzelnen Tweets, die wir dort Plirk nennen auch die Möglichkeit gibt pro Plirk einen eigenen Chat-Thread aufzumachen. Also sozusagen eine Twitter-IRC-Kreuzung. Genau das richtige 🙂 Microbloggen UND chatten in einem.

Plurk UND Twitter haben für sich genommen schon ein gewisses Suchtpotential In Kombination finde ich beide fast schon gefährlich. Und wie immer, wenn etwas neu ist, beschäftigt man sich damit noch intensiver als dann im Alltag. Das trifft gerade auf mich und Plurk zu. Deshalb ist hier also in letzter Zeit so wenig passiert. Aber: Das soll anders werden Ich hoffe ich habe mich an Twitter und Plurk ausreichend gewöhnt und habe den festen Vorsatz hier wieder mehr zu schreiben. Natürlich brauche ich dazu auch Themen, aber ein paar davon kristallisieren sich schon in meinem Hinterkopf. Und einen längeren Artikel habe ich auch noch in der Pipeline, nur dass ich an dem noch arbeite. Vielleicht wird das aber auch eine Serie (macht euch keine Hoffnungen, es wird trivial).

Wer sich trotz Suchtgefahr an Twitter oder Plurk versuchen möchte, findet mich hier:
Twitter Plurk

P.S. Lieben Gruß an Frau Jekylla. Sie wissen schon warum 🙂

Sexismus und so

Nachdem mich das Thema in den letzten Tagen häufiger irgendwie angesprungen hat schreibe ich also ein paar Gedanken dazu auf.

ich bilde mir ein, als Mann einigermassen "emanzipiert" zu sein. Ich respektiere Frauen als vollwertige Menschen. Wasche ab, Wasche Wäsche, habe kein Problem damit wenn Frauen Technik betreuen. All das. Dass ich das erwähne ist im Prinzip sexistisch, weil ich damit ein Stück weit in Klischees denke oder auf Klischees eingehe.
Die ganze Diskussion ist eigentlich sexistisch, wenn ich sage "Frauen sind vollwertige Menschen" kann man behaupten, dass ich damit zumindest in Erwägung ziehen würde, dass es auch anders sein könne. Egal.

Als Soziologe kenne ich den Begriff "soziale Konstruktion". Bestimmte Soziologen behaupten, dass alles was uns zu dem macht, was wir sind im weiteren sozial konstruiert wäre. Das Geschlechterverhältnis auf jeden Fall. Frauen und Männer sind nach ihrer Meinung vollständig gleich. Können prinzipiell das selbe gleich gut. Was in der Praxis nicht funktioniert kommt daher, dass wir – die Gesellschaft – durch unser Vorbild Unterschiede konstruieren und weitergeben. Mädchen spielen mit Puppen, weil man die ihnen gibt, nicht weil sie es möchten.

Nur: Sozial konstruiert ist (leider?) nur einiges. Männliche und weibliche Gehirne arbeiten zum Beispiel unterschiedlich, wenn es darum geht zu navigieren. Frauen lesen Stadtpläne anders als Männer. Nicht besser, nicht schlechter, anders. Für bestimmte Aufgaben effizienter, für bestimmte weniger effizient. Männer haben bestimmte Vorgehensweisen, Frauen andere. Männliche und weibliche Gehirne sind teilweise, so scheint es, unterschiedlich verdrahtet. Wieder: Nicht besser oder schlechter, anders.

Wenn man in die Aufmerksamkeitsforschung geht, sieht man: Frauen schauen stärker auf Texte, Männer stärker auf Bilder. Es gibt Theorien darüber, warum das so ist, aber für die Diskussion ist das egal. Diese Unterschiede sind – da in ich mir sicher – nicht sozial konstruiert. Oder leben wir dem Nachwuchs vor "schau mehr auf den Text"  bzw. "schau auf die Bilder"?

Halten wir also fest: Es gibt Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Übrigens gibt es auch unterschiede zwischen Ethnischen Gruppen, zwischen Altersgruppen, zwischen Menschen der selben Ethnie aber aus unterschiedlichen Gegenden (Bayern vs. Hamburger? Klar gibt es Unterschiede). 

Jetzt schreibt jemand hier http://www.kopfschuettel.de/ ein unterhaltsames, kleines Blog. In diesem beschreibt er ausgewählte Erlebnisse mit seiner Partnerin. Vielleicht sind die fiktiv, vielleicht nicht. Ein Mann schreibt über die Beziehung zu einer Frau. Und prompt: Sexistisch. Jedenfalls ist das ein schnell in der Luft hängender Vorwurf. Wenn er das selbe über seinen schwulen aber ebenfalls männlichen Partner geschrieben hätte wäre es wohl was ganz anderes. Aber so? Sexismus.

Wovon lebt das Blog? Davon dass Gegensätze zwischen den beiden Akteuren beschrieben werden. Diese sind hier nun Mal männlich und weiblich. Und – na klar – erfüllen bestimmte Klischees. Die Unterschiede zwischen den beiden machen das Blog also (für mich) lesenswert. Übrigens wäre ein Blog in dem eine Frau über ihre Erlebnisse mit ihrem männlichen Partner schreibt wohl ebenso lustig. Und sexistisch.

Aber: Ist das schlimm? Ist es schlimm, wenn jemand sich über Klischees lustig macht? Darüber scherzt, wenn jemand Klischees erfüllt? Sind nicht diejenigen viel schlimmer, die nicht in der Lage sind den Unterschied zwischen Klischee, Text und Realität zu erkennen?

Mit Vorurteilen ist es doch genau das Selbe: Wir alle haben Vorurteile. Einige geben das zwar nicht zu, aber rein psychologisch notwendig haben wir Vorurteile. Schubladen in die wir Material sortieren. Das ist enorm praktisch, spart es uns doch Unmengen an Zeit und Kapazitäten um jeden einzelnen Sachverhalt selbst zu prüfen. Wichtig ist hier, dass wir selbst in der Lage sein müssen diese Vorurteile im Zweifel und in jedem Einzelfall zu überprüfen. Wichtig ist es, offen zu sein dafür, dass jeder Einzelfall der Schublade widerspricht. Vielleicht ist auch die ganze Schublade Mist. Wir müssen in der Lage sein das in Frage zu stellen. Aber es spricht nichts dagegen an platten Verallgemeinerungen Spaß zu haben. Es spricht nur etwas dagegen, diese Verallgemeinerungen so zu glauben und in den Alltag zu übernehmen.

Um noch Mal zum Ausgangsthema zu kommen: Das Blog wird doch erst dann sexistisch, wenn es die Aussage trifft "alle Frauen sind immer so". Jeder hat doch vermutlich in seinem Leben genug erlebt, bei dem er oder sie sagen würde "ja, das entspricht dem Klischee". Und vermutlich genau so viel das nicht dem Klischee entspricht. Nur ist das – meist – weniger unterhaltsam. Und ist es nicht genau so sexistisch, sich offen darüber zu freuen, dass man von einer Frau in der Werkstatt bedient wurde?

Solange für mich selbstverständlich ist, dass Frauen und Männer gleichwertig sind, darf ich finde ich auch Spaß an den Unterschieden haben. Gleichwertig, nicht gleich! Und das ist dann nicht sexistisch, sondern einfach nur realistisch. Den Spaß habe ich nämlich auch an Unterschieden zu anderen Männern, oder an Männern die männliche Klischees erfüllen. Oder daran, dass HSV Fans und St. Pauli-Fans Klischees erfüllen. Oder eben nicht. An mir, wenn ich ein Klischee erfülle. Und sei es nur das des arroganten Hamburgers.

Unsortiert? Kann sein, mußte aber mal gesagt werden. Und jetzt schlagt zu 🙂