Nehmen wir mal an, ich gründete eine Partei. Weil alles scheiße, irgendjemand muss ja, und überhaupt.
In meinem Programm enthalten sind erstmal 10 Punkte, damit es einfach ist und alle es verstehen. Und alle meine Punkte sind gleich wichtig für mich.
Fein so weit. Weil ich der Polit-Messias bin (oder n narzisstisches, aber erfolgreiches Arschloch), lande ich bei den ersten Umfragen direkt bei 10%. Geil.
Aber weil unsere Demokratie unsere Demokratie ist, lande ich damit a. in der Opposition und b. kann dann zwar auf 10% der Sitze meine 10 Programmpunkte herausrufen aber c. na ja.
Ich lerne, dass von allen, die mich nicht wählen, nennenswert viele vor allem ein Problem mit Programmpunkt eins haben. „Dann können wir den nicht wählen“.
Umfragen sagen, wenn ich Punkt eins knicke, lande ich nicht bei 10% sondern bei 20%.
Und mit 20% habe ich reelle Chancen nicht in der Opposition zu landen, sondern in der Koalition. Und könnte dann Mitregieren.
Also knicke ich (grummelig) einen Programmpunkt, hab nur noch neun, dafür aber 20% der Stimmen.
Wahltag, 20% wählen mich, toll.
Die größte Partei hat 30% und wir steigen in Koalitionsverhandlungen ein. Und weil die halt 30% und ich 20% haben, Läuft es dann halt darauf hinaus, dass von meinen 9 Programmpunkten noch 3 übrig bleiben, so wie ich es mir vorgestellt habe. Drei. Ach ja, und bei zwei Themen kann ich das Gesamtergebnis noch etwas in meine Richtung drängen.
Also am Anfang („Wunsch“) 10 Programmpunkte (alle toll) yaddayaddayadda echtes Leben später noch 3 Programmpunkte (toll) und vor allem viele. Beschissene. Kompromisse.
Und wir sind uns glaube ich alle einig, dass 20% Wahlergebnis eigentlich schon echt ein (großer!) Erfolg ist.
Dennoch nur drei Punkte von 10.
Und die Realität des Regierungslebens hat noch nicht mal begonnen, der gesellschaftliche Diskurs, die demokratische Dynamik, all das wird in den nächsten vier Jahren stattfinden. Und Dinge verlangen und Themen verschieben und und und und alles scheiße.
Aber die wirkliche Welt da draußen, die ich gerade mit viel Glück zu ca. 40% der Regierung irgendwie versuchen kann mit zu beeinflussen.
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Und jetzt? Wie damit umgehen? Wenn ich mir die Welt bei den bekannten Rahmenparametern zeichnen könnte, an welchen Stellen würde ich dann „ne“ sagen und warum? Was ist da vernünftig?
Ist Programmpunkt 1 schon die Mauer, weil ich will dafür geliebt werden, wie ich bin, und mich nicht verstellen?
Oder ist 3 von 10 besser als 0 von 10 oder gar 3 von den 10 der anderen, die auch 20% hatten, aber halt das Gegenteil von mir sind?
Ich mein klar, wenn ich mir die Welt malen könnte, wären alle da draußen auf meiner Seite und mindestens ähnlich, in dem was sie oder wir wollen. Wenn ich mir die Welt malen könnte, müssten wir danach über 5 meiner 10 Punkte nicht diskutieren, weil eh klar und die anderen 5 na ja, wir finden schon ne Mitte, weil die und ich eben EIGENTLICH sehr nah beieinander.
Aber ich kann nicht malen und die Welt ist die Welt und jetzt was?
Entweder, ich beiß mir auf die Zunge, versuche so viel „ich hinkriege“ von meinen Punkten irgendwie auf die Welt zu bappen und dann an den Stellen wenigstens etwas mitzumalen, oder ich beiß mir nicht auf die Zunge, stell mich draußen hin, zeig auf die drinnen und pöbele, dass meine 10 Punkte ja besser sind, als alles, was die da drin (das geht so überhaupt nicht, Pack!) machen.
Emotional steh ich eigentlich schon vor der Tür, ihr Penner!
Aber außer emotionaler Gratifikation („hab ich Euch doch gleich gesagt!!“) hab ich dann auch NUR Frust. Weil NIX passiert, wie ich es will.
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Und jetzt?
Erinnert sich noch jemand an die Fundis vs. Realos-Diskussion bei den Grünen? Irgendwie führen viele diese doch jetzt wieder, nur überparteilich.
Und irgendwie hab ich so den Eindruck, dass ich mich jetzt entweder draußen vorstellen kann und bockig „DAS IST SCHEISSE“ rufen (und hätte damit recht), aber ändern tu ich damit halt nix.
Und irgendwie hab ich so den Eindruck, dass „in unserer Demokratie“ halt entweder Scheißkompromisse um irgendwas besser zu machen, oder pöbeln und nix oder Revolution.