Und was jetzt?

Wenn ich mich in den letzten Wochen oder Monaten in meinem erweiterten Bekanntenkreis umschaue, bekomme ich ungefähr folgenden Eindruck von mehr oder weniger relevanten Themen des Alltags:

  • Benzin ist zu teuer und wird immer teurer
  • Meine Geldanlagen sind in den letzten Monaten entwertet worden
  • Den Regierenden ist egal wie es dem Volk geht, die wollen nur ihren eigenen Vorteil
  • Wir brauchen dringend schärfere Gesetze, wer hier alles mit Bewährungsstrafen davon kommt…
  • Der Umweltschutz muß viel mehr beachtet werden
  • Firmen die aus Deutschland abwandern vernichten hier wichtige Arbeitsplätze
  • Milch ist viel zu billig, die armen Bauern
  • Die Regierung(en) sind unfähig
  • Der Kaffee aus Fairem Handel in Südamerika ist der beste
  • Wir verschwenden Energie, wir müssen dringend was tun um unseren Energieverbrauch zu senken
  • Die Lebensmittelkosten treiben uns noch alle in den Ruin
  • Die Großkonzerne sind böse und wollen nur unser Geld
  • In der dritten Welt verhungern viele, weil sie weder Arbeit noch Lebensmittel zum überleben haben
  • Im idealfall ernährt man sich von Lebensmitteln die von lokalen Landwirten kommen
  • Die Vorstände stecken sich doch eh alles in die eigene Tasche
  • Ohne Auto kann ich mich gleich umbringen, wie soll ich dann irgendwohin kommen
  • Die Gesetze sind viel zu überzogen, man kann sich ja nichtmehr frei bewegen ohne auf Schritt und Tritt verdächtigt zu werden

Die Liste könnte ich noch eine Weile so weiter führen. Viele der Aussagen darin können wechselseitig von ein und der selben Person in unterschiedlichen Unterhaltungen gekommen sein.

Aber das Dilemma könnte sich da oben schon abzeichnen. Was oder wohin wollen wir eigentlich? Individualisierung um jeden Preis. Persönlicher Wohlstand und Wahlfreiheit, Entscheidungsfreiheit, berufliche Perspektiven, Bildung, Arbeit und Flexibilität für jeden. Umweltschutz, Gleicherechtigung. Spass am Leben, Freizeit, Urlaub in fremden Ländern, Kulturelle autonomie. Schutz vor Kriminalität, freiheit des Einzelnen. Deutliche Verbesserung der Ausgangsbedingungen der Menschen in den Drittwelt- und Schwellenländern.

Das Problem damit ist nur, dass wir (alle) offenbar Ziele und Wünsche haben, die sich widersprechen. Wer sich für mehr Umweltschutz ausspricht muss Konsequenterweise klar gegen den Individualverkehr wie er heute praktiziert wird sein. Wer gegen die Dominanz von Großkonzernen ist, und dafür, dass denen “mehr auf die Finger geschaut wird”, muß konsequenterweise für einen stärker reglementierenden Staat sein. Wer mehr Individualismus möchte, kann eigentlich nicht für mehr Demokratie sein. Wer für bessere Bedingungen in anderen Ländern ist, darf sich nicht darüber beschweren, wenn gleichzeitig die Bedingungen hier schlechter werden. Einfache Mengenlehre: Wenn es Menge N zu verteilen gibt, und in einer Ecke der Welt zuwachs benötigt wird, dann muß irgendwo anders N weniger werden.

Mein beschränkter Horizont bietet mir folgende Kontrast-Szenarien an: Entweder wir entscheiden uns für ein weitgehend individualisiertes System, mit den bekannten Schwächen. Ausreißer, die über die weichen Grenzen hinaus schießen, mögliche Dominanz von einzelnen (bzw. einzelnen Organisationen), Verteilungswettkampf, Entwicklung. Oder wir legen uns fest. Definieren, was für jeden das Beste ist und versuchen eine Gesellschaft zu schaffen, in der jeder das für ihn “Beste” bekommt.

Klar gibt es Mittelwege, aber im Großen und Ganzen läuft es doch auf diese beiden Varianten hinaus. Und die Mittelwege bringen die dauernde Balance zwischen beiden Extremen mit sich.

Nur wo ist dieser Mittelweg? Was wollt “ihr”? klar weiß jeder (mich eingeschlossen) hunderte Dinge, die ihm nicht passen. Aber was passt uns? Und was muß wie laufen, damit es uns nicht mehr nicht passt? Was sind (eure) wesentlichen Ziele, von denen ihr denkt, dass wir alle, die Welt, die Gesellschaft, sie erreichen muß? Was sind die Opfer, die ihr dafür bereit seid zu bringen? Lippenbekenntnisse sind immer einfach. Die 20 Cent für Biomilch tun mir nicht weh, aber wo ist die Grenze?

Schreibt was! In euren Blogs oder hier in den Kommentaren. Würde mich wirklich über Feedback oder den einen oder anderen Beitrag freuen! Ich werde mich dann auch mit “meiner” Perspektive revanchieren. Curis Weltmodell.

Ignoranz?

Wenn ich vom Büro nach Hause will, muss ich durch den Hamburger Hauptbahnhof. Im Fahrstuhl Stöpsel ins Ohr, Musik auswählen, raus und durch.

Ich sehe jetzt nichts wirklich richtig.

Alles ist surreal.

Die Musik dröhnt. Ich gehe meinen gewohnten Weg. Schnell. Nicht aus Angst. Weil ich immer schnell gehe. Links der Bäcker, bei dem ich früh den Kaffee kaufte. Weiter hinten der Häagen-Dasz-Laden mit dem leckeren Eis. In der Mitte irgendwelche Promo-Stände.

Menschen?

Ja, klar. Aber interessieren mich nicht. Nicht wirklich.
Bestenfalls schaue ich einer hübschen Frau hinterher.
Aber mehr?

Nein.

Wenn ich durch die Wandelhalle hindurch bin, also auf der Rückseite des Bahnhofs, wird es ghettoartig: Rechts die Apotheke, dahinter die Polizeiwache.
Irgendwo ist eine Treppe runter zur S-Bahn. Dort stehen immer viele in deren Freizeit scheinbar „am Hauptbahnhof rumstehen“ dazugehört. Meinetwegen, mir egal. Aber eigentlich „Haben die kein Zuhause?“. Vielleicht wirklich nicht. Vielleicht gibt es für diese Menschen nichts anderes?

Abschalten.

Plötzlich ein Sport-Team in roten T-Shirts. „Alkoholmannschaft“. Lustig? Nicht wirklich.

Weiter.

Runter zur U-Bahn. Irgendwer hält mir eine offene Hand in den Weg. Ich achte nicht drauf, gehe weiter. Gleich kommt die U-Bahn die ich erreichen will.
Jugendliche lärmen.
Waren wir früher auch so? So ähnlich bestimmt. Aber ich mochte die meisten meiner Schulkameraden damals auch nicht. Warum also heute deren Nachfolger.

Weiter.

Rechts jetzt der Brötchenstand. Gegenüber ein anderer. Runter zum Gleis. Während ich die Treppen hinab eile spüre ich den Luftzug. Unten müht sich eine Mutter zwischen all den Menschen allein den Kinderwagen die Treppe hinauf zu bekommen.

Vorbei. In die U-Bahn. Sitzplatz. Ich mache es mir gemütlich und hole mein Laptop raus. Drehe die Musik etwas leiser. Lese.

Im Waggon lärmen Kinder. Ein Vater schreit seinen Sohn an. Drehe die Musik wieder lauter. Und wieder: Haben die kein Zuhause? Muss man das hier machen? Ohlsdorf, spätestens Langenhorn Markt steigen die meisten aus. Vor allem die störenden. Ohne Langenhorn-Markt hätte ich gefühlt die ganze Fahrt ruhe.

Endlich am Zwischenziel. Aussteigen. Die Treppe hoch zum Bus.

Warten.

Hinter mir die Kneipe. Uschis Bahnhofseck oder so. Darin läuft laute Schlagermusik. Die Gäste gröhlen mit. es ist 19:00 und die ersten Schnapsleichen drinnen. Wie arm.

Daneben ein Dönerladen. Glaube immer die selben Gesichter zu sehen. Verschwimmt. Vorurteil in mir sagt ungebildet. Sagt dumm. Sagt armselig.

Moralinstanz sagt ich sollte differenzieren. Aber Menschen die radfahrenden Frauen hinterher grölen will ich nicht differenzieren. Menschen die jeden Tag mit Dosenbier am Bahnhof stehen. Will nicht. Wozu.

Der Bus kommt. Rein. Musik wieder lauter. Busgeräusche sind anders als U-Bahngeräusche. Glaube ich kann am Geräusch sagen in was für einem Busmodell ich sitze. Neuere summen eher, ältere Brummen. Wieder: Anstrengende Jugendliche. Machen Krach. Aber auch die steigen bald aus. Glashütte Markt. Spätestens.

Ab jetzt sitzen zu 50% immer dieselben Gesichter hier. Gesichter mit denen ich was verbinde. Mit-Dörfler. Zwei kennen sich offenbar, treffen sich öfter am Bus und unterhalten sich. Zwei ältere Damen scheinen von der Busfirma zu sein. Plaudern oft mit dem Busfahrer. Ich weiß sogar wo sie aussteigen. Schlimm. Will ich mir nicht merken. Mache es trotzdem.

Endlich daheim. Der geistige Filter setzt ein. Rest-Erinnerungen verblassen.

Jetzt Mails checken. Blogs lesen. Abendessen.

Ich bin wieder in meiner Welt.

Irgendwas besonderes? Nein. Interesse? Keins. Geheuchelt maximal: Diese armen Menschen. Und dabei schon wieder ein zynisches Grinsen auf den Lippen.

Zapp. Fernsehen. Fußball. Zapp. Internet. Zapp. Duschen. Zapp. WII spielen. Zapp. Chatten. Austausch mit Menschen auf „meiner“ Wellenlänge. Oft belanglos.

Vielleicht sollte man sich auch mit den anderen beschäftigen. Wahrscheinlich. Mit denen, die am Bahnhof stehen. In der U-Bahn lärmen. Jedes Einzelschicksal ist wichtig. Heißt es.

Glaube ich daran? Ich weiß nicht. Ich bewerte.

Ich sortiere in (für mich) wichtige und unwichtige Schicksale.

Kann mich nicht um jeden kümmern.
Jeden Mögen.
Jeden für relevant halten.

Bin ich ignorant?

12:30? Ohne mich!

Irgendwann neulich habe ich was dazu geschrieben, warum ich „Scheiss DSF“ zu pauschal finde. Warum ich persönlich Montagabendspiele sogar recht gut finde. Inklusive meiner Argumente dafür. Ich verstehe auch immer noch nicht, was dagegen spricht, den Spieltag zeitlich zu entzerren. Am Ende ist das ganze für das Endergebnis, für die Spannung, für die Meisterschaft, für Auf- und Abstieg meiner Meinung nach ziemlich unerheblich.

So weit, so gut. Nun kommt neuestens die DFL und ihr TV-Rechte-Vermarkter Sirius mit einer ausgefeilten Idee daher. Wir verschieben die Spiele der zweiten Liga nach vorn. Warum nicht Samstags um 13:00 spielen und am Sonntag – da kann man davor ja auch nichts machen – um 12:30.

Das geht dann aber sogar mir zu weit. Hallo? Um 12:30 habe ich als Vorort-Bewohner von Hamburg und nur-ab-und-zu-mal Heimspielbesucher ja schon ein Terminproblem noch zeitig ins Stadion zu kommen. Üblich ist sagen wir mal eine Stunde vorher da zu sein. Das hieße um 11:30 sollte ich ungefähr am Millerntor sein. Dazu muss ich bei optimaler Anbindung um 10:30 zu Hause los. Nun ist die Anbindung aber alles, nur nicht optimal. Ohne auf die Fahrpläne geschaut zu haben behaupte ich einfach, dass ich mit Bus und Bahn gegen 09.40 loskommen muss. Für ein Heimspiel. In der Stadt, die ca. 1.500 Meter von meiner Wohnung entfernt ist.

Neun Uhr Vierzig.

Das sind unglaubliche 100 Minuten später, als ich Wochentags aus dem Haus gehe, wenn ich morgens ins Büro muss. Supi. Gemütliches Sonntagmorgen-Frühstücken ist dann nicht mehr drin. Übrigens auch nicht „In die Kirche gehen“ (ja, ich gehe nicht in die Kirche, aber das 10:00 ist Gottesdienst-Zeit scheint ein besseres Argument zu sein als „das ist Fan-feindlich“. Die DFL ist wohl etwas Gottesfürchtig?).

Ok, aus meiner Sicht ist der Termin also irgendwie ziemlicher Mist. Egoistisch gesehen, versteht sich. Aber das geht offenbar den meisten anderen Fans oder Sympathiesanten genau so. Sonst wäre die Resonanz die die Sozialromantiker-Ini-St.Pauli innerhalb weniger Tage erzielt hat nicht so groß gewesen.

Lassen wir aber nun die egoistischen Fans beiseite, die „ihren“ Fußball gerne auch ab und zu im Stadion erleben wollen. Gucken wir auf die DFL und Ihre altruistischen Beweggründe:

Durch die Trennung der Termine für erste und zweite Liga würden mehr Leute Fußball im Fernsehen gucken können. Bzw. Mehr Leute mehr Spiele. Klar, ich fange Mittags mit zweiter Liga an um dann nahtlos die drei Sonntagsspiele der Bundesliga zu sehen. Nacheinander. Von 12:30 bis 22:00 Fußball gucken. Toll. Und wie viele Menschen das mit Begeisterung nutzen werden. Keine Ahnung, 10.000? 50.000? Also vielleicht, optimistisch geschätzt eine ordentliche Stadionfüllung. Alle anderen werden sich vor allem für „ihren“ Verein begeistern. Und für die Liga in der ihr Verein spielt. Gucke ich Bundesliga? Alle paar Wochen kurz in der Sportschau. Ein intelligentes Zweitligaformat würde ich dafür regelmäßig schauen. Aber nicht weil es zeitversetzt läuft, sondern weil es die Liga „meines“ Vereins ist. Heißt für die Einschaltquote – und vor allem für die Quote der Pay-TV-Kunden ein verschwindend geringer Effekt.  Zumal man nicht vergessen darf, dass sicher auch genug wegen der Terminverschiebung kein Pay-TV haben wollen werden. Wer will schon am Mittagstisch Fußball gucken?

Zweites Argument: Attraktivität für ausländische Märkte. Ja, die Bundesliga. Vielleicht. Hallo? Die maximal viertbeste Liga Europas? Wer ist denn in Asien wirklich relevant? Wenige englische Top-Clubs und Real Madrid oder so. Vielleicht noch ein paar Teams mit entsprechenden Spielern. Mehr nicht. Und da wollen die Damen und Herren von der DFL also nennenswerte Umsätze generieren? Weil man den durchschnittlichen Fußball dann dort in der Prime-Time sehen kann? Übrigens etwas, das in Deutschland (leider) viel zu selten passiert (ja, ich fände Samstags, 19:00 oder 20:00 toll). Ach so, außerdem: Ich rede hier von der Zweiten Liga. Die natürlich noch weniger Asiaten ansprechen wird als es die Bundesliga schon machen dürfte.

„Ja, aber man muss ja auch für die Zukunft planen!“

Genau. Und die Zukunft funktioniert nicht, ohne Fans. Fußball im Fernsehen ist für viele doch nur deshalb interessant, weil sie etwas mit ihrem Verein verbinden. Und das ist untrennbar mit der Fankultur verbunden. Natürlich kann ich auch für „irgendeinen Verein aus meiner Nähe“ sein. Aber das ist dann nichtmehr Begeisterung, Liebe, Zuneigung, sondern allenfalls eine gewisse Sympathie. Nur: Nur aufgrund einer gewissen Sympathie kaufe ich keinen Fanschal, kein Premiere-Abo, gehe nicht ins Stadion. Nicht mal um 20:15. Samstags. Mittelfristig wird diese Strategie also dazu führen, dass die Umsätze der Vereine sinken. Vielleicht erst in 10 Jahren, aber das reicht.

Ich bin absolut kein Sozialromantiker, aber in einem Stadion das nur noch aus Business-Seats und Logen besteht, werden auch Geschäftsleute nicht mehr mit ihren Kunden gehen wollen. Schon gar nicht um 12:30. Sonntags.

Mehr zum Thema zum Beispiel bei kein Kick vor zwei, bei Frau Jekylla und bei der Sozialromantiker-Ini-St.Pauli, Die ist seit heute dann auch erstmal bei den Blogbuttons verlinkt.