Wir sind ja so anders

Wir sind sooo anders!

Wir spielen vor dem Spiel das Lied der Gäste und freuen uns sogar auf und über die Gästefans. Wir wollen mit ihnen gemeinsam ein schönes Spiel erleben. Wollen Fußball feiern. Während des Spiels natürlich gegeneinander, aber vor und hinterher gerne gemeinsam. Das schöne am Fussball sind doch gerade auch die Begegnungen drum herum. Das gemeinsame Bier mit dem noch unbekannten Fan der anderen. Und verlieren? Gehört dazu. Damit können wir umgehen.

Wir sind sooo anders!

Wenn die Anderen Ihre Rauchtöpfe zünden protestiert das ganze Stadion. Wenn Pyros abbrennen skandieren wir “Ihr seid doof”, ist doch klar. Wer schon mal neben so einem Ding gestanden hat, weiß wie unangenehm das ist. Ganz zu schweigen von den Risiken, damit jemanden zu verletzen. Risiken, die man nicht eingehen sollte, ohne Not.

Wir sind sooo anders!

Destruktiver Support ist so gar nicht unser Bier! Wir singen lieber kreative Lieder, um unsere Mannschaft nach vorn zu pushen. Was kümmert uns der Gegner? Primitives Geschimpfe ist nicht nur doof, sondern auch noch langweilig. Das können wir besser. Das können wir kreativer.

Wir sind sooo anders!

Toleranz schreiben wir groß. Diskriminierungen im Stadion sind schon seit Ewigkeiten per Stadionordnung verboten. Wir waren die ersten, die das in Deutschland gemacht haben und sind stolz darauf. Wer Menschen aufgrund Ihrer Herkunft oder Hautfarbe, Ihres Geschlechts, oder Ihrer sexuellen Ausrichtung beschimpft, diskriminiert, hat bei uns im Stadion nichts verloren. Das ist Konsens.

Wir sind sooo anders!

Wenn man mit uns auswärts fährt ist die Reise ein Erlebnis. Wir begegnen uns untereinander und anderen Menschen mit Respekt. Wir respektieren sie. Wir verhalten uns so, wie wir es auch von unseren Mitreisenden erwarten würden. Wenn Kinder im Zug sind, geben wir auf sie acht. Wir wissen, wie Zugtoiletten funktionieren und wie eklig vollgekotzte Gänge sind. Und wenn sich doch einmal jemand daneben benimmt, dann sind seine Freunde nicht weit, die ihn kurz ins Bild setzen.

Warum so spießig?

Wenn uns der Gegner nicht gefällt, warum sollen wir die dann noch höflich behandeln? Ich meine, mal ehrlich, wer Fan von HSV, Rostock, Rapid Wien, Bayern, Dortmund, Hannover, Stuttgart oder den Rangers ist… wer Fan von Osnabrück, Hoffenheim, Frankfurt oder Berlin… die sind doch selber Schuld? Wie kann man nur? Und wenn wir verloren haben, gibt’s erstrecht ne Ansage. Soweit kommt es noch, dass wir das hinnehmen. Das ist unser Stadtteil, hier habt Ihr nix verloren.

Warum so spießig?

Wenn wir Pyros abbrennen sieht das doch super aus? Das gehört zum Fußball dazu. Und solang man durch die rechtliche Situation dazu gezwungen wird, die Dinger illegal abzubrennen geht es halt nicht anders. Wenn es verletzte geben sollte.. wir können da nichts für, das liegt nur daran, dass man uns zwingt, die illegal abzubrennen. Scheiß Recht. Und wenn man den Rauch nicht mag? Ey, das ist Fußball, geh doch zum Hallenhalma. Oder kauft euch nen Sitzplatz!

Warum so spießig?

Scheiß doch drauf. Ich kack echt auf euren pseudokreativen Mist. Die anderen beschimpfen uns, dann kriegen sie es mit gleicher Münze zurückbezahlt. Oder besser noch extra einen drauf. Wobei, auch wenn sie nicht schimpfen. Alles Arschlöcher, die haben das verdient. Und Niveau? Ey, Nivea ist Blau-Weiß, das sind die HSV-Farben. Das geht mal nicht, ja? Wir sind St. Pauli!

Warum so spießig?

Der Homo im gelben Trikot da vorne, dem gibt’s nach dem Spiel auffe Fresse. Und guck mal da hinten, da hat einer irgendwas von nem anderen Verein unter seinem Shirt. In unserem Block. Ich glaub, ich sammel erstmal meine Kumpels und dann erklären wir dem, dass er seinen dummen Arsch hier aus dem Block bewegt. Das ist unser Revier. Ich kann das echt nicht haben. Und wenn der neben mir an der falschen Stelle jubelt, gibt’s halt Backenfutter. Ich meine.. sorry, das ist Fußball, das ist Emotion. Da passiert das halt mal.

Warum so spießig?

Auswärtsfahrten sollen doch Spaß machen. Party alder. Erstmal kräftig druckbetankung und dann geht’s los. Scheiß doch auf die Kinder, die haben hier nix verloren, ist Fußball. Und wenn die im falschen Zug sitzen.. mein Problem ist das ja nicht, nä? Uh, mir wird schlecht, gib mir mal die Brötchentüte… Und vorm Klo ist die Schlange solang, aber der Mülleimer tuts ja auch. Danach mach ich munter den Ghettoblaster an, dann kann der ganze Wagen Musik hören. Geil, oder? Rauchverbote im Zug ignorier ich eh, und zum Bierchen gehört das ja auch dazu. Geruchsbelästigung? Ey, kauf Dir lieber selbst mal nen anderes Deo.

Ihr kotzt mich an!

Ihr kotzt mich an, weil ihr anders sein wollt, weil ihr über die anderen lästert, das, was ‘uns’ mal ausgemacht habt nutzt, um euch selbst besser zu fühlen, während ihr genauso seid wie die anderen. Vielleicht sogar noch schlimmer. alles unter dem Deckmantel der Toleranz.

Ihr kotzt mich an!

Ihr kotzt mich an, weil ihr – selbst wenn ihr es selbst doof findet – Gewalt gegenüber anderen erst mal hinnehmt. Ist halt das Lebensrisiko, dass im Stadion welche ausrasten gehört wohl dazu. OHNE zu hinterfragen. Ohne Kritik. Man geht nicht in Fanwear von sonst wem in unsere Kurve. Selber Schuld. Der der Ausrastet? Naja, im Eifer des Gefechts.. passiert halt.

Ihr kotzt mich an!

Ihr singt “HSV ist scheiße”, wenn wir gegen Hoffenheim spielen. “HSV ist scheiße” beim Spiel gegen Dortmund. Hauptsache singen, egal was. Aber in der kurzen Pause zwischen den Gesängen kurz über die anderen lästern. Und merkt es nicht mal.

Ihr kotzt mich an!

Wenn der Teenie im Bus seinen Handyklingelton vorführt wird die Nase gerümpft. Je nach dem bekommt er (zurecht!) sogar ne Ansage. Aber wenn St. Pauli-Fans unterwegs sind, ist das was anderes? Wir wollen doch Musik hören. Rücksichtnahme? Wozu? Wir sind St. Pauli!

Ihr kotzt mich an!

Weil sich gegen Recht und Bestimmungen durchzusetzen zum Selbstzweck geworden ist. Und weil immer die anderen Schuld sind. Nie man selbst. Pyro ist verboten. Na und? Und wenn der Verein dann die (absehbare) Strafe bekommt, dann ist das System schuld.

Ihr kotzt mich an!

So schnell seid ihr mit ausgestrecktem Zeigefinger dabei, wenn ein Lokalrivalenfan Mist baut, so schnell kann man gar nicht gucken. Aber wenn es um Mist bei uns geht… wird relativiert, wird verteidigt, immerhin passiert das ja unter Alkoholeinfluss mal. Und überhaupt, das ist ja einer von uns. Solidarität und so. Wir sind die Guten.

Ihr kotzt mich an!

Der etwas andere Verein? Keine Ahnung. Ich kenn keinen anderen Verein auch nur annähernd so gut, aber vieles, was bei meinem, bei unserem Verein passiert, geht mir, geht vielen von uns gegen den Strich. Dieses ewige “gehört halt dazu”-Argument. Dieses ewige “wir sind die guten, daher kann das nicht schlecht sein, wenn es von einem von uns kommt”. Dieses ewige “Solidarität um der Solidarität willen”.

Denkt mal drüber nach. Denn nur das Nachdenken ist das, was uns von einigen anderen früher mal unterschieden hat. Nur weil wir den Kopf nicht am Stadioneingang abgegeben haben, konnte das entstehen, was uns mal ausgemacht hat.

Denkt mal drüber nach.

Bitte!

So geht also Hochsicherheitsspiel

Ich hab’s dann doch noch mal geschafft. Also diese Saison ins Stadion.

Nach dem Dauerkartendebakel und dank der etwas unglücklich erscheinenden Tatsache, dass ich bisher einfach aufgrund bestimmter Überlegungen und Entscheidungen kein Mitglied des Vereins bin (Teile der Diskussion darüber warum etc. gibt es bei Frau Jekylla in den Kommentaren) waren meine Chancen an ein Ticket zu kommen halt eher gering. Und zugegeben war meine Motivation, mich dann intensiv darum zu kümmern auch eher im Keller. Anyway, Hannover. Aus persönlichen Gründen eh ein mir liebes Reiseziel, und aus praktischen Gründen super für eine Auswärtsfahrt. Lange Einleitung kurzer Übergang: Ich hatte ein Ticket. Sitzend, direkt neben dem “Fanblock”. W1.Im ‘neutralen’ Block, wenn man so will.

Der Einlass war super geregelt, nach dem wir dem auf der Karte stehenden Hinweis (“Eingang West”) gefolgt waren und uns vor dem Betreten des Stadions noch ein Getränk genehmigen wollten, klärte uns ein freundlicher Ordner auf, dass es ein Sicherheitsspiel sei, und es vor der Gästekurve wohl keine alkoholischen (oder andere) Getränke gäbe. Immerhin seien Hannover und St. Pauli ja schwer verfeindet.

Danach erklärte er uns dann noch, dass wir für unseren Block doch bitte Eingang Nord nutzen…

Meine Zeichenkünste sind begrenzt, aber W1 ist quasi am Südende der Westtribüne, direkt an die Südkurve angrenzend, also sehr im Süden.

Süden. Das war das, was dem Norden gegenüber liegt. Aber okay.

Nord ist dann auch noch der Eingang direkt hinter Hannovers Fankurve. Der Eingang, den die Ultras (heißen die dort so?) nutzen. Die Ultras des Vereins, gegen den wir gerade ein Hochsicherheitsspiel besuchen wollten. Jedenfalls wenn man dem Ordner glaubt.

Wer den Widerspruch erkennt… naja.

Wir also einmal um das Stadion marschiert, lauter freundliche (ohne Ironie) Hannoveraner getroffen, die mich auch in St. Pauli-Kluft nicht böse anschauten. Und rein ins Stadion. Durch den Nord-Block (und lauter nette Ultras…) Richtung W1 und dann irgendwann auch am Ziel.

Vorab war irgendwie schon abzusehen, dass der neutrale Block ziemlich braun-weiß werden würde. es kursierten Gerüchte von 8.000 oder 10.000 Hamburgern in Hannover. Und siehe da, diese trafen ziemlich zu. Die Begleitung (erkennbare Hannover 96 Sympathisantin) fühlte sich zunächst fast etwas unwohl, wohl auch, weil der Ordner sie mit dem Hochsicherheitsspiel etwas auf das falsche Pferd gesetzt hatte. Und während ich noch damit beschäftigt war, sie zu besänftigen, kam das Spiel immer näher. Der Block füllte sich, und am Ende waren es geschätzt ca. 80-90% St.Pauli-Fans, die sich mit ein paar vereinzelten H96ern den Block teilten. Friedlich.

Etwas warmgesungen, zwischendurch von Herrn Foxxibaer begrüßt (der saß mit Freund Dirk im Nachbarblock), schon kam der Anpfiff.

Und nach unglaublich kurzer Zeit St. Pauli eins, Hannover null. Sechs Minuten. Aufspringen, jubeln, mehr jubeln, ungläubig die Augen reiben, weiterjubeln.

Große Freude vor allem auch darüber, dass Marius Ebbers endlich das erste Bundesligator geschossen hatte, seitdem er für uns spielt. Und darüber, wie brilliant das Tor herausgespielt war. Hach!

St. Pauli spielte überzeugend. Sicher in der Defensive mit einigen wirklich schönen Offensivaktionen. Die erste Halbzeit ging klar an uns.In Halbzeit zwei drehte Hannover zwar etwas auf, brachte aber auch nicht so richtig was zustande. Ich wurde zwar immer nervöser (meine Nerven.. ARGH), aber das änderte nichts daran, dass wir das Spiel schon ziemlich im Griff hatten. Statt der roten Karte gegen Haggui (ziemlich zurecht) hätte ich mir zwar lieber das möglicherweise verhinderte Zweinull gewünscht, aber so ging es ja auch. Naki vergab auch noch, dann war das Spiel vorbei. Braunweiße Seligkeit.

Das war jetzt schon der dritte Auswärtsdreier im Vierten Spiel. Vom FC St. Pauli. Direkt nach dem Aufstieg. (hier gehört jetzt noch einmal das ungläubige Augenreiben hin).

Nach dem Hochsicherheitsspiel dann nochmal im Mob durch die Massen an Hannoveranern. Ich hab nicht Mal aggressives Geschubse gegenüber St. Paulianern mitbekommen. Was nach einer Niederlage zumindest möglich gewesen wäre.

Kurz via Twitter mit den Herren Textundblog und Sparschaeler verabredet und raus, zum Treffpunkt. Nach einigen Minuten stieß dann auch der Foxxibaer inkl. Begleitung zu uns, und noch ein paar Minuten später schaffte es Frau Little Rogue dann auch noch, kurz vorbeizuschauen. Letztere verließ uns noch kurzem Hallo leider wieder Richtung Parkplatz, während der Rest sich langsam und entspannt auf den Weg zum Bahnhof machte, um die beiden Herren aus der schönsten Stadt der Welt rechtzeitig in Ihren Zug zu setzen. Ein entspanntes Gilde Pilsener am Maschsee wurde dazwischengeschoben und so kamen wir ziemlich präzise am Bahnhof an. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, dann noch ein kleiner Abstecher in Hannovers Altstadt in etwas kleinerer Runde. Die zwei St. Paulianer und ihre jeweiligen Hannoveraner Gastgeber. Der erste Versuch eine Kneipe zu finden endete leider damit, dass die drinnen sitzenden Hannoveraner Fans uns zwar an ihren Tisch baten, die Wirtin uns aber barsch hinauskomplimentierte “Ich schenk nix mehr aus”. Naja, noch ein Getränk in einer spanischen Bar, danach ging’s dann langsam in die jeweiligen Schlafstätten.

Ein rundum schöner Auswärtstrip. Danke, an den magischen FC, die beste Begleitung der Welt, die Stadion-Twitterer und Dirk für einen Prima Abend.

Die Herren Textundblog und Foxxibaer haben sich auch zu dem Abend geäußert, hier:

Geniale FC St.Pauli-Auswärtsfahrt nach Hannover
Auf Kaperfahrt in Hannover