Das hatte ich auch noch nie. Eine befreundete Twitterin fragt mich, ob sie mein Blog als Plattform nutzen könne um über das Dresden-Spiel zu schreiben, weil sie selbst kein Fußballblog hat.
Konkreter: Die Mandy Matz vom Buchblog um die Ecke war in Dresden dabei und hat sich etwas aufgeregt. So wie sich das liest zurecht. Aber lest selber:
Ich wurde vor 25 Jahren in Riesa geboren. Seit beinahe sieben Jahren wohne und studiere ich in Leipzig. Trotzdem sehe ich Dresden als meine Heimatstadt an. Hier habe ich den größten Teil meines Lebens verbracht, hier bin ich aufgewachsen. Mein erstes Fußballspiel war ein Dynamo-Spiel. Mit meinem Opa. Ich glaube, gegen Hertha, auch wenn ich nicht weiß, ob die beiden Vereine überhaupt jemals in einer Liga gespielt haben.
Die fussballinteressierten Mitglieder meiner Familie sind nicht unbedingt Dynamo-Fans, aber sie fiebern mit. Es sind eben Dresdener. Ich selbst bin mittlerweile seit ca. fünf Jahren St. Pauli-Fan, letzten Mai war ich bei meinem ersten Spiel. In Hamburg. Bei der Verabschiedung von Ebbers und Bruns. Fünf Tore. Ich habe die ganze Zeit geheult. Es folgten drei weitere Spiele: FSV Frankfurt, Aue und eben heute Dynamo Dresden. Jedes Spiel war auf seine Art aufregend und emotional für mich, aber Frankfurt und Aue konnten natürlich nicht mit der Aufgeregtheit und Emotionalität bei Dynamo schon im Voraus mithalten.
Und dann waren wir da. Zu viert. Drei Männer und ich. Ein bisschen spät, deshalb gab’s nur einen Platz auf der Treppe. Ein Stehplatz auf einer so steilen Treppe vermittelt einem übrigens ein gutes Gefühl für römische Arenen. Die Stimmung war von Anfang an gut: spannungsgeladen und laut.
Als jedoch kurz nach dem Anpfiff ein St. Pauli-Fan den Dresdener Poté „Niggerschwein“ nannte, dachte ich kurz, ich stehe im falschen Block. Von den üblichen Provokationen und Schmährufen von beiden Seiten abgesehen, kam es – von meinem Standpunkt aus gesehen – zu keinen größeren Problemen, sieht man davon ab, dass ich „Scheiß Dynamo!“-Rufe für absolut unangebracht halte in einer Fankultur die Wert darauf legt, anders und kreativer zu sein.
Am Ende wurde es dann hitziger. Die drei Minuten Nachspielzeit gingen in gegenseitigen Provokationen unter. Was einige der Dynamo-Fans unseren „Alerta Alerta Antifascista“-Rufen entgegensetzten, kam bei mir nicht an, doch da zwei von ihnen unter beifälligen Rufen und Applaus unsererseits im Polizeigriff abgeführt wurden, kann es nichts Gutes gewesen sein. Leider mischten sich unter die Antifaschismusrufe auch andere Gesänge („Kühe, Schweine, Ostdeutschland“), die ich so nicht hören will, erst recht nicht von Fans eines Vereins, der sich für gegenseitige Toleranz stark macht.
Mit Polizeieskorte ging es im Shuttle-Bus gen Hauptbahnhof. „Sicher ist sicher“, wie mir ein Polizist erklärte.
Direkt hinter dem Eingang des Hauptbahnhofs spukte ein Dynamo-Fan vor mir aus. Da bis dahin nichts passiert war, nahm ich das nicht so ernst, zeigte ihm eine lange Nase und weigerte mich stur, den Schal abzunehmen oder den Pullover zu verdecken. In der komplett gelben Bahnhofshalle begann der Spießrutenlauf, mir wurde langsam mulmig zumute. Leider zu Recht.
Ein weiblicher Dynamo-Fan pappte mir einen SGD-Aufkleber auf den Arm, verhinderte das sofortige Abrupfen desselben und nannte mich „Votze“. Beim Durchqueren der Halle nahm ich noch einige abwertende Blicke zur Kenntnis und hörte gelegentliche „Zecke!“-Sprüche, nichts allzu Dramatisches. Auch vor den Gleisen wimmelte es von Dynamo-Fans, alle in Erwartung der Züge und ob des Spielausgangs entsprechend angefressen.
Einer wollte seinen Frust offensichtlich an einer „Hure“ und „blöden Schlampe“ auslassen – an mir. Pech für ihn, dass er seine durch nichts zu verzeihenden Beleidigungen direkt vor einer Gruppe Polizisten mit laufender Kamera abließ. Ein Polizist ging direkt auf ihn zu und fing an, seine Personalien aufzunehmen, ein anderer fragte mich, ob ich Anzeige erstatten wollte. Ich wollte – so viel Dämlichkeit gehört einfach abgestraft.
Und ehrlich gesagt nahm ich es mir ziemlich zu Herzen. In meiner Heimatstadt spuckte man vor mir aus. Fans eines Vereins, bei dessen Spielen mein Opa vorm Fernseher mit fiebert, nannten mich „Schlampe“ und „Hure“. Es waren gar nicht so sehr die Taten und Worte, die mich schmerzten, sondern die Umgebung, in der es passierte, die emotionale Komponente. Kurz und gut, ich stand heulend auf dem Bahnsteig.
Neben mir unterhielten sich zwei Dynamo-Fans über die Dummheit des eben von mir Angezeigten, beide kamen später auf unser Grüppchen zu. Mir graute etwas vor der nächsten Kollision, doch was nun folgte, versüßte mir den Nachmittag und zeigte mir, dass es auch andere Dynamo-Fans gibt.
Die beiden legten mir eindringlich, aber freundlich ans Herz, den Schal abzunehmen und den Pullover zu verdecken. Endlich folgte ich schweren Herzens und leider immer noch heulend.
Mehrere befreundete Dynamo-Fans gesellten sich zu den beiden und uns, sagten mir, dass alles in Ordnung sei, dass ich schon heil nach Hause käme. Einer bewunderte im Nachhinein meinen Mut, offen im St. Pauli-Pullover durch die Bahnhofshalle gegangen zu sein. Ein kleines Lächeln schlich sich in mein Gesicht.
Bier wurde ausgepackt, Anekdoten wurden ausgetauscht. Der, der mich mutig nannte, lobte die Hamburger für ihre offene Art, ihre Gastfreundschaft, die guten Möglichkeiten, um die Häuser zu ziehen und zu trinken – auch in voller Fan-Tracht. Ehrlich gesagt konnte er gar nicht mehr aufhören, das „Gesindel“ zu loben, St. Pauli hätte einfach die besten Fans.
Als die Abfahrt des Zuges sich näherte, boten sie an, dass wir doch einfach als Gruppe fahren könnten – so würde mir nichts passieren. Himmel, was war ich froh! Wer könnte einen besser vor aggressiven Dynamo-Fans schützen als andere Dynamo-Fans? Es wurde eine sehr unterhaltsame Zugfahrt, in deren Verlauf wir am Ende sogar alle begeistert „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ sangen.
Mein Fazit des Tages? Nicht jeder St. Pauli-Fan hat das mit der Toleranz vollkommen verinnerlicht. Nicht jeder Dynamo-Fan ist per definitionem eine rechte Bratze. Nicht jeder Polizist schaut einfach weg. Schwarze Schafe gibt es überall. Das sind Sachen, die eigentlich klar sein sollten. Und die man dennoch nicht oft genug sagen kann.
Ich bin gern Dresdenerin. Und ich trage meinen Totenkopf mit Stolz.
Danke für den Beitrag.
Ich muss ja offen zugeben, dass ich mit „Scheiß XYZ“ eigentlich keine größeren Probleme habe, auch wenn es nicht gerade kreativ ist. Und dass bei uns leider auch genug Vollidioten herum rennen ist ja leider auch nichts neues. Aber es ist immer wieder wichtig das auch zu thematisieren. Zumal auch andere aus meinem Umfeld sich schon im Stadion darüber begeisterten, was für Vollhonks mit ihnen im Block standen.