Jetzt mal ohne Scherz, aber ich schäme mich.
Ich weiß gerade nicht richtig wofür, aber ich bin ja typischer Deutscher St. Pauli-Fan und mach dann das, was wir halt so reflexartig machen…
Dass Hansa Rostock für das kommende Spiel bei uns nur 500 Sitzplatzkarten bekam, hatte ich ja bereits berichtet. Heute haben die Rostocker dann – wohl auf Wunsch “der Fans” (übrigens finde ich es bei denen ungefähr genauso lustig, wie bei uns, dass es eine Gruppe gibt, die für “die Fans” spricht.. naja) mit einer Erklärung reagiert, und wollen nun genau 7 Tickets verkaufen.
Da muss man natürlich erst mal Respekt zollen. Hansa Rostock als Turm im Kampf gegen die Aushöhlung von Fanrechten. Quasi als Speerspitze der Fußballdemokratie.
Bin ich der einzige der das ganze bigott findet?
Erinnert sich noch jemand an lustige Puppen, die aus der Fankurve geschmissen wurden, als Anspielung auf den in Aachen gestürzten St. Pauli-Fan? An ausländerfeindliche Sprüche? An diverse Aktionen in den letzten Jahren? Daran, dass die Rostocker gerade vor knapp 3 Wochen Ihr Stadion zu stürmen versuchten?
Und jetzt lesen wir mal die Erklärung der Rostocker genauer. Schauen uns mal an, wo die bekanntgegebenen Gründe für diesen Rückzug liegen:
Dem F.C. Hansa Rostock war bewusst, dass die Nachfrage das Angebot – selbst bei 1400 Karten – übersteigt. Die nun durch die Polizei verfügten 500 personalisierten Sitzplatz-Karten sind für den F.C. Hansa nicht hinnehmbar. Eine gerechte Verteilung ist nicht möglich.
Aha, bei 1.400 Karten wäre eine “gerechte Verteilung” also noch möglich gewesen, bei 500 nicht mehr? Was ist denn eine gerechte Verteilung? Naja, weiter geht’s, man schließt Vorfälle nicht aus, auch nicht von den eigenen Anhängern.. und
Diese könnten einen materiellen Schaden (Strafen) nach sich ziehen, der die Existenz des Vereins gefährdet. Ein eventuelles Geisterspiel in Rostock wäre der finanzielle Kollaps für den F.C. Hansa Rostock.
Finde ich vor dem Hintergrund aktueller Urteile des Sportgerichts gegen die Kölner und Nürnberger natürlich sehr nachvollziehbar. Offenbar hat sich der DFB dazu entschieden, Gewalttaten im Stadion stärker zu sanktionieren. Offenbar werden dabei zunehmend die verursachenden Vereine versucht zu bestrafen. Wäre ich Hansa Rostock, ich hätte mir auch mehrfach überlegt, wie hoch das Risiko einer Strafe ist und ob ich das eingehen wollte.
Aber wo werden da “Fanrechte” geschützt? Wo handelt man auf einer auch nur moralisch zu nennenden Basis?
Zum Thema “Fanrechte” übrigens sehr lesenswert der Artikel zum Thema, drüben bei Frau Jekylla. Besonders auch der hervorragende Kommentar von Frau Kiki unter demselben Beitrag. Weiterhin dieser Kommentar von Frau Kiki hier im Blog. Nur mal zum Nachdenken.
Weiter im Text
Vielmehr brauchen wir eine deutschlandweite Diskussion mit allen Beteiligten (Verein, Fans, Polizei). Credo: Kommunikation statt Konfrontation
denn man hat kein genuin eigenes Problem mit der Stadion-Klientel vor Ort, sondern man hat ein deutschlandweites. Es ist ja nun auch nicht so, dass das Spiel Rostocks bei St. Pauli irgendwie besonders wäre, oder dass Rostocker Anhänger vielleicht ein klitzekleines bisschen häufiger negativ aufgefallen wären, als sagen wir Mainzer oder Frankfurter… Neee. Niemals.
Naja, jetzt kommen also sieben Vertreter Rostocks ans Millerntor. Sozusagen die drei heiligen Könige der Bundesliga. Die Gralshüter der Fußballfairness.
Mehr Platz für Heimfans, sag ich mal so platt.
Hätten Karlsruhe oder Aachen die Tickets zurück geschickt, hätten sich alle über mehr Kapazitäten gefreut. Aber wenn man das macht, weil die Rostocker Angst vor ihren eigenen Fans (und deren Ausschreitungspotential) haben, geht das nicht. Jetzt schämen wir uns also alle für unser Präsidium, dass völlig normal (will sagen: Professionell) vorgeht und die freigewordenen Kapazitäten anderweitig (also für unsere Fans) nutzt und jetzt immerhin noch mal 1.000 Tickets an St. Pauli-Fans verkaufen will.
Immerhin herrscht die Angst, dass St. Pauli-Fans bald vielleicht auch ne Auswärtsblocksperre kriegen. Woher kommt die eigentlich? Warum glaubt man, dass wir – anders als vielleicht Mainz oder Freiburg – davon bedroht sind?
Ach ja, weil die böse Polizei und der ähnlich böse DFB uns nicht leiden kann.
Der generell friedliche St. Pauli-Fan tut ja nichts böses. Niemals.
Also prügeln wir erst mal munter weiter auf unser (sicher nicht fehlerloses) Präsidium ein, denn da spart man sich den reflektierten Blick nach innen. Spart sich das Nachdenken über die eigene Perspektive. Und wo wir grad am prügeln sind, schlagen wir auch noch munter auf diejenigen ein, die die eigene Meinung nicht teilen. Die sich möglicherweise noch freuen, jetzt doch noch ne Chance haben, ins Stadion zu kommen.
Prügeln auf diejenigen ein, die Vielleicht aufgrund einer anderen Perspektive eine andere Einstellung haben. Aufgrund anderer Werte. Anderer Vorstellungen.
Toleranz.
Die schreibt sich der FC St. Pauli ja so groß auf seine Fahnen.
Toleranz leben wir aber lieber nur dort, wo wir sie für uns in Anspruch nehmen. Niemals gegenüber anderen. Das wäre zu anstrengend.
Wir sind nämlich so anders.
Ich geh mich mal schämen. Aus Prinzip und so. Wofür, überlege ich mir noch mal.
Edit und PS:
Übrigens sehr bezeichnend der letzte Absatz der Erklärung der Rostocker:
Der F.C. Hansa Rostock bittet alle Hansa-Fans, am Sonntag nicht nach Hamburg zu fahren.
Klar, logisch, sieht ja jeder: Hier geht’s um die Fanrechte, gell? Nur darum!