Nagelprobe

Früher war das mit der Nagelprobe beim Fußball ganz einfach. Jedenfalls wenn der FC St. Pauli auswärts spielte. Die Nagelprobe sah so aus, dass ich aufgrund des Stresslevels munter an meinen Fingernägeln kaute und damit sie auf ihre Haltbarkeit prüfte.

Aber diese Saison ist das irgendwie anders. Selbst bei Rückstand nach 15 Minuten war ich noch total entspannt. Woran das liegt, kann ich nicht so genau sagen, aber nun gut, meine Fingernägel werden es mir wohl danken.

Nagelprobe aber auch deshalb, weil für mich schon vor dem Spieltag dieses Spiel eine gesonderte Bedeutung hatte. Der FSV Frankfurt ist sicherlich kein überragender Gegner und auf jeden Fall ein Team, dass keine direkten Ambitionen für das obere Tabellendrittel hatte. Also die Teams, gegen die wir typischerweise besonders gut aussehen.

Und irgendwie haben wir diese Probe bestanden. Und zwar nicht nur, weil wir in Frankfurt 3:2 gewonnen haben, sondern auch, weil wir nach früher Führung den Ausgleich und später sogar den Rückstand hinnehmen mußten. Weil wir das Spiel gedreht haben. Weil das Team gezeigt hat, dass es auch mit schwierigen Situationen umgehen kann. Denn seien wir ehrlich: Eine 2:0 Führung auswärts macht es doch irgendwie leichter, den Rest des Spiels gut und entspannt zu spielen.

Zum Glück für meine Nägel. Wenn man so will. Und ich bin immer noch erstaunt, den Jungs beim Spielen zuzusehen. Auch wenn nicht immer alles funktioniert, sieht das doch sehr sehr gut aus. Ruhiger, konstruktiver Spielaufbau, kontinuierliches Anrennen. Immer das Gefühl vermittelnd, das Spiel im Prinzip im Griff zu haben. Auf den richtigen Moment warten um das Gegentor zu erzielen. Wie Charles Takyi und Matze Lehmann dann, nach fast einer Stunde ohne Tor. Kein wirres, gestresstes, angestrengtes Anrennen ohne Konzept. Richtig guter Fußball.

Das war übrigens der 3. Auswärtssieg in Folge. Oder das sechste niederlagenlose Spiel von den sechs Pflichtspielen diese Saison. Oder das schnellste Saisontor in der zweiten Liga. Oder das sechste von sechs Spielen, bei dem wir mindestens 2 Tore geschossen haben. Oder …Ich bin im Moment sehr Statistikbegeistert. 🙂

Aber das alles entscheidende ist: Trotz eines grottigen 10. Platzes auf der Heimtabelle in der Gesamtansicht Spitzenreiter! So darfs weiter gehen. Bitte mit einem Sieg gegen die Region am nächsten Sonntag. Mittags.

An die Anstosszeiten werde ich mich wohl so schnell nicht gewöhnen.

Zwei Wochen träumen

Ich oute mich hier mal als bekloppt:

Freitag das Auswärtsspiel im Karlsruher Wildpark über das geliebte AFM-Radio belauscht. Die erste Hälfte noch im Büro wo ich nebenher noch ein bisschen Papierkram erledigte. Die zweite Hälfte von Unterwegs übers iPhone. Schöne neue Fußballwelt. Okay, früher gab’s für sowas Radios, aber da war irgendwie immer zu viel anderes dazwischen (mal ehrlich, dann hätte ich auch die Reportage vom Spiel Koblenz-Cottbus mithören müssen. Hallo? Cottbus?!
Okay, quasi mit dem Abpfiff zuhause gewesen, Rechner hochgefahren, bei St. Pauli-TV eingeloggt, das ganze Spiel nochmal im Re-Live gesehen. Neulich hätte ich noch “Konserve” gesagt, aber das ist wohl uncool.
Den Samstag immer wieder breit gegrinst, wenn ich an Fußball dachte, und am Abend dann nochmal das Spiel geguckt, gab ja nix im Fernsehen.

Alles natürlich nur, um euch hier einen möglichst korrekten Spielbericht abzuliefern. Ich schwöa! 😉

Vier zu Null. Hallo? Ich hab ja nach dem Aachenspiel schon nur noch Superlative im Kopf gehabt… Was soll ich denn jetzt noch schreiben? 9:0 Tore nach zwei Auswärtsspielen. In Aachen und Karlsruhe. Zwei Spielen bei Teams die sicherlich vorne mitspielen wollen. 9:0 Tore. Dafür haben wir in der letzten Saison keine Ahnung wie viele Auswärtsspiele gebraucht. Also für die 9 Tore. Für die Null.. das ging schneller. Erinnert sich jemand an das Auswärtsspiel bei 1860?

Nein. Nicht dran erinnern.

Heute ist wichtig. Fußball ist immer auch Psychologie. Und irgendwie haben wir es geschafft aus der verängstigten Auswärtsgraupentruppe das zu machen, was da auf dem Platz steht. Souverän (ja, es gab Angriffe von Karlsruhe, die gefährlich waren – aber das lässt sich quasi nicht vermeiden), abgezockt, effizient. Wobei da sicher auch noch 3-4 Tore für uns hätten fallen können. Woah.

Doch nochmal zurück. Vor der Saison gab es viele, die meinten 3-4 Punkte nach den ersten Spielen wären super. Nach den Spielen gegen Ahlen, Aachen, Duisburg, Karlsruhe. Jetzt sind es 10. Statt da zu stehen, wo der selbsternannte Aufstiegsanwärter 1860 München mit 4 Punkten steht, 13. Platz, sind wir mit 10 Punkten erster.

Spitzenreiter.

Schon wieder.
Und – das ist das entscheidende – Verdient!
Und Alex Ludwig hat sich wie man unschwer sehen kann mit seinem Wechsel nach München sportlich wesentlich verbessert.
Vom 1. auf dem Feld zum 13. auf die Bank. So geht das. Spart er sich das lästige rumgelaufe.
Und ich finds gut so! Unser runderneuertes Mittelfeld ist toll. Wahnsinn, was Lehmann, Naki, Bruns und Co da zaubern. Trotz Takyis Sperre und Kruses Verletzung.

Nächstes Spiel ist wieder auswärts (was uns scheinbar liegt, im Moment), gegen Frankfurt. Die sind letzter, was mich normalerweise seeehr skeptisch machen würde. Aber zur Zeit traue ich unseren Jungs zu, das trotzdem hinzukriegen. Und davor sind zwei Wochen Länderspielpause.

Nervt zwar irgendwie, weil ich grad jeden Tag Fußball gucken könnte, andererseits kann ich jetzt mit Sicherheit zwei Wochen lang glücklich auf die Tabelle starren… Auch nicht das schlechteste. Zwei Wochen “was wäre wenn” Träumen.

Vom anderen Hamburger Verein kam schon der Vorschlag die Saison jetzt zu beenden. Kein so verkehrter Vorschlag. Wenns dann in zwei Wochen in der Bundesliga weitergeht 🙂

Spitzenfussball, Spitzenfussball, Hey! Hey!

Mist. Wir haben die Tabellenführung abgegeben. Nach einem Heimspiel. So wird das nix.

Okay, Spaß beiseite. Fußball ist ja auch nix zum lachen. Eigentlich ist der zweite Tabellenplatz nach dem dritten Spieltag ja mehr wert, als der erste Tabellenplatz nach dem zweiten Spieltag. Soweit klar? Ich habe damit übrigens nicht gesagt, dass der zwölfte Tabellenplatz nach dem dreizehnten Spieltag noch besser ist. Ähm, sagte ich schon Spaß beiseite?

Fußball. Also so richtiger, guter, technisch höherwertiger Fußball:

Ballstafetten. Durchdachte Spielzüge. Koordiniertes Spiel aus der Abwehr. Schnell das Mittelfeld überbrückend nach vorn und dort zum Abschluß kommen. Technisch teils brilliante Einzelleistung in ein von der Mannschaft getragenes Kollektivspiel eingebunden. One-Touch-Football. Kurzpassspiel. Rotierende Offensivpositionen. Verschieben in Ballnähe. Schnelles Aufrücken der Abwehr. Variabler Angriffsfußball. In Unterzahl trotzdem nach vorne spielen.

Bullshitbingo mit Fußballbegriffen? Von mir aus, aber… Das ist – wenigstens seit Aachen – der FC St. Pauli. Klar, nicht alles klappt immer, aber – WOW.

Klar, ich war enttäuscht nach dem Abpfiff. Aber das hat sich inzwischen gelegt. Da war zwar mehr drin, als das 2:2 – trotz Unterzahl – aber irgendwie ist das was, was mir gerade gute Laune macht. Die erste halbe Stunde setzte den überzeugenden Auftritt in Aachen nahtlos fort. Teilweise wirklich großartige Kombinationen über vier, fünf Stationen bis in den duisburger Strafraum, wirklicher Zauberfußball. Dann kam Takyi und machte erst das völlig verdiente 2:1 um dann, ebenfalls völlig verdient, früher Duschen zu gehen. (Der Schiri lag übrigens fast überall richtig, auch wenn mir das im Stadion absolut nicht so vorkam)

Was danach kam, war das eigentlich noch erstaunlichere.

Wir kennen das ja eigentlich von früher – mit 10 gegen 11 wird sich eingeigelt. 6er Kette am eigenen Strafraum, 2 “halboffensive” im Mittelfeld und ein einsamer Stürmer am Mittelkreis. Nicht so St. Pauli.

Munter weiter offensives Kombinationsspiel. Natürlich jetzt etwas weniger dominant, natürlich hinten abgesicherter, aber das was die da mit zehn Leuten gemacht haben, war besser, als alles was ich letzte Saison live am Millerntor erlebt habe. Duisburg drehte auf, aber für mein Empfinden war St. Pauli immer noch nahezu gleichwertig, trotz Unterzahl. Und Duisburg hatte wahrlich nicht schlecht gespielt. Auch nach dem 2:2 kein Einbrechen, sondern weiter der Versuch noch das 3:2 zu erzielen. Ich war eeecht erstaunt. Möchte fast sagen begeistert. Wenigstens nachdem ich mich abgeregt hatte 🙂

Irgendwie kann die Truppe gerade guten Fußball spielen, trotzdem im richtigen Moment kämpfen und das auch noch beides zeitgleich zeigen. Wenn das so weitergeht, ahne ich eine Entspannte Saison im oberen Mittelfeld. Oder so 😉

Die schlechte Nachricht des Wochenendes lautet also: Tabellenführung vergeigt.
Die gute lautet: Aachen war keine Eintagsfliege, was den Fußball anging. Das wird. Toll. Hoffe ich!