Pöbeln light

Wenn der Tabellenzweite gegen den Tabellensiebzehnten spielt…
Heimspiel für den Tabellenzweiten.
In einem Stadion das den Nimbus hat,ein ganz besonderes zu sein…
Ein Hexenkessel.
Ein Ort, indem Auswärtssiege besonders viel bedeuten, weil sie so selten sind…
Wenn der Gastgeber zudem in vier Rückrunden-Spielen ein Gegentor zugelassen hat. Und diese vier Spiele gewonnen wurden…
Wenn die Heimmannschaft diejenige, mit der stärksten Offensive der Liga ist…
Und den attraktivsten Fußball der Liga spielt…

…ist die Sache eigentlich klar, oder?

Dumm nur, wenn die Heimmannschaft FC St. Pauli heißt und aus Hamburg kommt. Dumm nur, wenn ein paar andere Rahmenbedingungen eintreffen:

Wenn die Lokalpresse seit Tagen nichtmehr darüber nachdenkt, ob, sondern nur noch wie hoch der Heimsieg ausfällt…
Wenn das Abendblatt “100 Gründe, warum St. Pauli aufsteigt!” veröffentlicht…
Und die Morgenpost auch…
Wenn selbst im Fanforum die Stimmen der Skeptiker langsam verstummen…
Wenn der Rasen aussieht, wie eine Pferdekoppel…
Und alle ehemaligen Angestellten des Vereins und Peter N*r*r*r bereits ein Interview zum Thema „Warum der FC St. Pauli aufsteigt“ geben durften…

Dann gibt’s ein 0:0.

Immerhin. Früher – also bis ungefähr letzte Saison – hätten wir so Spiele verloren.
Und die Fans hätten die Schuld dem Schiri, dem Platz, dem Trainer mit seinen komischen Auswechslungen, der Kälte oder der (je nach Perspektive zu lauten, zu leisen, zu ‘lala-singsang’ oder zu spielbezogenen) Stimmung im Stadion gegeben.

Eigentlich war das Spiel nicht mal so furchtbar schlecht. Nicht, wenn man als Vergleich ein Jahr zurückblickt. Die meiste Zeit recht souverän gespielt. Keine Chancen zugelassen, immer wieder angelaufen und versucht, was zu machen.

Uneigentlich – also im Vergleich zu den Spielen dieser Saison war das alles stark optimierungsfähig.

Spielerisch.

Man merkte dem Team an, dass sowohl Trainingsbedingungen als auch Platz nicht gerade zur derzeitigen Spielweise passten. In der ersten Hälfte gab es gefühlte 10 Mal die Situation, dass auf einer der Außenbahnen der Flügelspieler zum Doppelpass ansetzt. Etwas in die Mitte passen, nach vorne laufen, auf den Ball warten. Mindestens 9 Mal ging der Ball diesmal ins Aus. Sonst klappt das besser. Und wenn die Flügelspieler nicht nach vorne kommen, vor allem nicht mit Ball, gibt’s leider auch keine Flanken in den Strafraum. Keine Möglichkeit, an der Strafraumgrenze selbst in die Mitte zu ziehen. Sondern Einwurf. Für die anderen.

Uneigentlich stand Frankfurt aber auch einfach verdammt gut in der Abwehr. Clever und geschickt die Räume zugemacht. Die Passwege zugestellt. Das reichte gegen unpräzise Paulianer auf alle Fälle. Ob wir mit mehr Präzision zum Tor gekommen wären? Weiß nicht. Wäre auch ungerecht gegenüber den gut aufgelegten Gästen. Frankfurt war am Freitag einfach gut genug, um sich ein 0:0 gegen St. Pauli verdient zu haben. Gegen meinen eben nur mittelmäßig aufgelegten Zweitliga-Spitzenclub (Derzeit! Das ist keine allgemeingültige Einschätzung).

Eigentlich wollte ich am Freitagabend pöbeln. So richtig. Draufhauen. Im Blog!

Hallo? Wie kann man bitte…

wie können WIR bitte…

(bzw. die.. also, DIE Spieler)

…gegen den FSV Frankfurt verlieren unentschieden spielen?

Aber mit zunehmender Distanz.. Mund abputzen.

Letzte Saison gab es nach unentschieden oft Aufmunterungen von Freunden. “Super, nicht verloren, Ihr seid ja auch erst im zweiten Jahr in der zwoten Liga”…
DAS sollte eigentlich der Maßstab sein. Wir sind im dritten Jahr (wieder) Zweitligist. Wir spielen eine unglaubliche Saison. Teils wirklich genialer Fußball, wir sind – zurecht – zweiter. Mit immer noch 6 Punkten Vorsprung auf Platz 4.
Wir haben die meisten Tore geschossen.

Der FC St. Pauli.

Der sonst selbst in Aufstiegssaisons über den Kampf zum Spiel finden mußte.
Wir spielen wirklich tollen Fußball.
Da ist ein 0:0 gegen den Vorletzten ein Ausrutscher. Mehr nicht.

In einer Woche geht’s um die Tabellenspitze. In der Region. Traditionell schlechtes Pflaster für uns. Ich werte das mal als gutes Omen.Diese Saison ist genug anders, als sonst. Da schaffen wir das auch noch.

Auswärts sind wir eh besser als zuhause!

Nagelprobe

Früher war das mit der Nagelprobe beim Fußball ganz einfach. Jedenfalls wenn der FC St. Pauli auswärts spielte. Die Nagelprobe sah so aus, dass ich aufgrund des Stresslevels munter an meinen Fingernägeln kaute und damit sie auf ihre Haltbarkeit prüfte.

Aber diese Saison ist das irgendwie anders. Selbst bei Rückstand nach 15 Minuten war ich noch total entspannt. Woran das liegt, kann ich nicht so genau sagen, aber nun gut, meine Fingernägel werden es mir wohl danken.

Nagelprobe aber auch deshalb, weil für mich schon vor dem Spieltag dieses Spiel eine gesonderte Bedeutung hatte. Der FSV Frankfurt ist sicherlich kein überragender Gegner und auf jeden Fall ein Team, dass keine direkten Ambitionen für das obere Tabellendrittel hatte. Also die Teams, gegen die wir typischerweise besonders gut aussehen.

Und irgendwie haben wir diese Probe bestanden. Und zwar nicht nur, weil wir in Frankfurt 3:2 gewonnen haben, sondern auch, weil wir nach früher Führung den Ausgleich und später sogar den Rückstand hinnehmen mußten. Weil wir das Spiel gedreht haben. Weil das Team gezeigt hat, dass es auch mit schwierigen Situationen umgehen kann. Denn seien wir ehrlich: Eine 2:0 Führung auswärts macht es doch irgendwie leichter, den Rest des Spiels gut und entspannt zu spielen.

Zum Glück für meine Nägel. Wenn man so will. Und ich bin immer noch erstaunt, den Jungs beim Spielen zuzusehen. Auch wenn nicht immer alles funktioniert, sieht das doch sehr sehr gut aus. Ruhiger, konstruktiver Spielaufbau, kontinuierliches Anrennen. Immer das Gefühl vermittelnd, das Spiel im Prinzip im Griff zu haben. Auf den richtigen Moment warten um das Gegentor zu erzielen. Wie Charles Takyi und Matze Lehmann dann, nach fast einer Stunde ohne Tor. Kein wirres, gestresstes, angestrengtes Anrennen ohne Konzept. Richtig guter Fußball.

Das war übrigens der 3. Auswärtssieg in Folge. Oder das sechste niederlagenlose Spiel von den sechs Pflichtspielen diese Saison. Oder das schnellste Saisontor in der zweiten Liga. Oder das sechste von sechs Spielen, bei dem wir mindestens 2 Tore geschossen haben. Oder …Ich bin im Moment sehr Statistikbegeistert. 🙂

Aber das alles entscheidende ist: Trotz eines grottigen 10. Platzes auf der Heimtabelle in der Gesamtansicht Spitzenreiter! So darfs weiter gehen. Bitte mit einem Sieg gegen die Region am nächsten Sonntag. Mittags.

An die Anstosszeiten werde ich mich wohl so schnell nicht gewöhnen.