Warum bist Du bei St. Pauli?

“Sag mal…. warum bist Du eigentlich bei St. Pauli? Als Du jung warst, waren die Jungs vom Rothenbaum…”

“Eyh! So alt bin ich nicht”

“Okay, als Du jung warst, waren die Jungs aus dem Volkspark gerade Europapokalsieger geworden, warum nicht Volkspark?”

“Ist einfach so!”

Solche und ähnliche Dialoge gibt’s seit entspannt 20 Jahren oder länger. Ja, so alt bin ich dann doch auch wieder. Und die Antwort?

Die Antwort auf die ‘Sinn’-Frage?

Mal gucken…

Ich weiß nicht, ob der Begriff “Bekenntnisverein” unseretwegen erfunden wurde, oder nur auf uns angewandt.
Ist eigentlich auch ziemlich egal. Jedenfalls ist der FC St. Pauli einer dieser Vereine, bei denen man nicht nur Fans findet, die das ganze vage emotional begründen “Ich bin da als 4 Jähriger… schon von Papa …und dann bleibt man halt..”, sondern auch ganz viele, die aufgrund ihrer politischen oder weltanschaulichen Position diesen Verein lieben.

Bekenntnisverein also. Der FC St. Pauli steht in der Öffentlichkeit für Punk, links(radikal), sich Auflehnen, für Toleranz, gegen Faschismus. Für schlechten Fußball, für Grasfressen. Für wirtschaftliche und sportliche Erfolglosigkeit, für den ‘Charme’ des einsturzverdächtigen Stadions. Für den “Banker neben Punker” und die bunte Kurve. Für den Roar. Und ganz viele lieben den FC St. Pauli deshalb. Und irgendwie hassen ihn oder uns deshalb auch ganz viele.

Als es losging

Als ich zum Verein kam, das war nach dem zweiten Bundesligaaufstieg in den späten Achtzigern, war das alles noch neu, noch rebellischer als heute, die Klischees noch wesentlich deutlicher in den klassischen Medien präsent. „Das Freudenhaus der Liga“ und so. Internet gabs damals ja gar nicht.

Aber irgendwie waren diese Bekenntnis-Dinger eher die zwar angenehmen aber für mich damals auch mehr oder weniger nebensächlichen Begleitumstände. Ich bin zu St. Pauli gegangen, weil Freunde dahin gingen. Weil der Vater eines anderen Freundes bei einem der Sponsoren arbeitete und uns ab und zu Stehplatz-Tickets besorgen konnte. Weil Stadionfeeling mit 15, 16, 17 irgendwie schon cool war. Weil das dieser kleine Hamburger Club war, der bei RTL im Live-TV lief und irgendwie sympathisch war. Weil ich schneller Sympathien für Underdogs entwickelte, als für Platzhirsche. Weil ich das Volksparkstadion dank der dort jährlich stattfindenden Bundesjugendspiele genau gar nicht leiden konnte. Weil man als St. Pauli-Fan irgendwie cooler war (Selbstwahrnehmung). Und klar, auch weil ich mich in der Kurve wohl fühlte, keine Angst vor Gewalt und irgendwie das Gefühl, dass die Gruppe im Zweifelsfall auch gemeinsam und erfolgreich auf Idioten einwirken würde…Was sich im Laufe der ersten Jahre dann auch mehrfach in der Praxis zeigte.

Ehrlich gesagt: Hätte man mir damals erzählt, das sei überall genauso,ich hätte es wohl geglaubt.
Genauso wie ich irgendwie glaubte, dass wir was ‘besonderes’ sind, weil ich es halt dauernd irgendwo las. Weil man es mir erzählte.
Und natürlich auch, weil ich, weil wir alle uns  darauf auch was einbildeten. Wenn man den Millerntor Roar in die Hand nahm spürte man ja auch dort, im ‘Sprachrohr der aktiven Fanszene’ (ein Begriff, den es damals so, glaube ich, gar nicht gab) diesen Stolz auf unseren Verein. Auf die Andersartigkeit. Auf das Besser-als.

Nur: Mit Fakten konnte ich dieses Besser-als nicht untermauern, ich kannte schlicht nichts anderes.

Und dann stand ich halt da, in der Nordkurve. Und wie das dann halt so ist.. Einmal gemacht, gut gefunden, wieder gemacht, immer noch gut gefunden, weitergemacht, dran gewöhnt, Dauerkarte gekauft, da geblieben. Erste Dauerkarte, das war dann nach dem Abstieg in die zweite Liga. Kurz nach der Wiedervereinigung. Zweigleisig. Ich war angekommen, hatte meine Bezugsgruppe, den Kader im Kopf, hatte meine Lieblinge und Spieler, die ich nicht leiden konnte (erinnert sich noch jemand an Robert Nikolic?). Und irgendwie war das auch fein, dass wir uns als links verstanden. Als tolerant. Und irgendwie war es auch cool, wenn man im Totenkopf-Pulli durch Altona lief, in ein Gespräch mit den Schnorrpunks verwickelt zu werden. Und cool, von zwielichtigen Gestalten angeraunt zu werden „Ey, hast Du Gras?“.

Break. Zwanzig Jahre später.

Ich weiß nicht (immer), warum ich hier (noch) stehe.

Naja, ich weiß manchmal nicht, warum ich mir das antue. Meistens wohl schon, irgendwie.

Ich stehe hier, weil ich mich hier wohl fühle. Weil ich eine Bezugsgruppe habe, mit der Fußball gucken mehr ist, als nur Fußball gucken. Weil ich den Verein liebe. Ganz irrational. Weil man in der Kurve ‘ne Menge Spass mit Wildfremden haben kann. Diese idiotischen, spontanen Sprüche, da so durch die Kurve gebrüllt werden. Weil da dieses Wir-Gefühl ist, das uns während des Spiels oft vereint.

Ich stehe hier, trotzdem. Trotz weit verbreitetem Dogmatismus zum Beispiel. Trotz oft unberechtigter Überheblichkeit. Trotz ausgesperrt werden vor dem Rostockspiel. Trotz der Diskussion danach, die mir sehr verdeutlicht hat, wie viele im Stadion sind, mit denen ich so gar nicht auf einer Welle liege. Diverse Diskussionen on- und offline, bei denen ich mir einfach nur an den Kopf fasse, ob der Position der Teilnehmer. (der Charme online: Man kann ja einfach mitlesen).

Ich stehe hier, sicherlich auch weil Politik ins Stadion gehört. Weil Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Co scheiße sind.

Ich stehe hier, obwohl mir viele Ausprägungen der Fanszene, viele Wünsche und Ansprüche völlig gegen den Strich oder völlig zu weit gehen. Obwohl ich ein iPhone, eine Vapiano- und eine Balzac-Card habe, die mir auch noch alle zwei Wochen ein Freigetränk einbringt. Obwohl ich “was mit Werbung” mache. Obwohl mich schon Leute, die die ersten 10 Minuten der Halbzeit Bierholen und die letzten 10 Minuten Bier wegbringen waren, dafür angeblafft haben, dass ich während des Spiels twittere. “Ey, wichtig is aufm Platz Du Arsch”. Danke.

Ich stehe hier sicher auch, weil das ganze als es damals los ging irgendwie neu, progressiv war. Weil die traditionellen Strukturen, die es so oft gibt, gerade auseinander gefallen waren und ich Veränderung, Bewegung und Evolution als Basis eigentlich immer gut fand.
Und obwohl ich inzwischen bei vielen den Eindruck habe, dass sie genau so stur auf Ihren Standpunkten fest hängen, wie es diejenigen damals taten, die wir alle so kritisierten.
Obwohl ich Konservatismus im linksradikalen Mantel noch unerträglicher finde, als (r)echten Konservatismus, der wenigstens dazu steht. Obwohl wir inzwischen (ab und zu wenigstens) mit das unbeweglichste sind, was man sich als Fanszene so vorstellen kann. Bloß nix verändern.

Also?

Wir definieren uns immer über die Abgrenzung zum anderen. Und ich weiß, was ich nicht will. Zumindest so grundlegend.
Und ganz vieles, was ich nicht will, passiert bei uns nicht.

Das ist gut.

Ich weiß nicht, vor allem nicht aus eigener Erfahrung, ob es woanders passiert. Ich war schlicht nie wirklich woanders.

Ich kenne aus Auswärtsfahrten Dinge, die ich nicht mag.
Aber mal ehrlich: Ich mag die wahrscheinlich vor allem deshalb nicht, weil ich mich dran gewöhnt habe, dass Fußball im Stadion so ist, wie es halt bei uns ist. Weil ich Fußball 20 Jahre lang so kennen gelernt, so ge- und erlebt habe, wie er halt bei uns ist. Ich kann Lotto King Karl nicht leiden, auch wenn ich es klammheimlich ziemlich cool finde, das eigene Vereinslied vor fast jedem Spiel live im Stadion zu singen.
Aber kann ich den nicht leiden, weil ich ihn schlecht finde, oder finde ich ihn schlecht, weil er HSV ist, und ich St. Pauli?

Scheiß Gewohnheit. Selber unbeweglich geworden.

Ich stehe hier, weil ich hier stehen gelernt habe.

Und es gibt mehr Gründe hin-, als wegzugehen.

Icke in Balin, wa?

So oder so ähnlich würden es wohl die Einheimischen ausdrücken…

Ich war also in Berlin. Ist zwar schon zwei Wochen her, aber die Chronistenpflicht ruft mich lauter, je länger es her ist. Hier also mein Bericht:

Bereits als der Spielplan für die aktuelle Saison rauskam, gab es zwei Auswärtsspiele, von denen ich wusste, dass ich sie gerne besuchen würde. Aachen und Union Berlin. Nachdem ich ja im letzten Sommer den Aachen-Plan umgesetzt hatte, stand nun also Union auf dem Programm. Dank Frau Jekylla auch mit Karte für das Spiel ausgestattet (denn auf die Idee, genau dieses Auswärtsspiel mitzunehmen, kamen offenbar noch andere).

Die Anreise erfolgte bereits am Freitag. Nachdem ich Gastraute Nedfuller und eine weitere Mitfahrerin eingesammelt hatte, fuhren wir am frühen Nachmittag durch die Nordostdeutsche Pampa. Die Autobahn war einigermassen leer, wir kamen gut durch und nach diversen Gesprächen über Ticketing, Stadiongrößen, Wunschergebnisse und sportliche Potentiale erreichen wir dann die Hauptstadt. Dieses Ereignis nutzte Herr Fuller um einmal laut “Hurra, Hurra, die Hamburger sind da!” aus dem Fenster zu gröhlen. Wo er Recht hat…

Im Hotel, eingecheckt und ein bisschen entspannen. Nachdem uns Frau Pleitegeiger im Hotel eingesammelt hatte dann weiter zum Grilltermin des Abends. Wunderbarer weise hatten die Gastgeber und Union-Blogger Steffi und Sebastian vom Textilvergehen nämlich in ihren zauberhaften Hinterhof eingeladen. Nach sowas wie 45 Minuten in der U-Bahn kamen wir an, und wurden nicht nur von den Gastgebern selbst, sondern auch von den St. Pauli-Bezugsgrupplern @Jeky und @Sparschaeler begrüsst. Der Grillabend konnte also beginnen. Bei (gefühlt selbstgedrehten) Würstchen und dem aus Hamburg mitgebrachten Kasten Astra Rotlicht wurde über so einiges gefachsimpelt, geplauscht und nebenher der Rüpel der Gastgeber von einigen mit gepflegtem Ballsport bespasst. Später am Abend gesellte sich noch Spox-Chef-Blogschauer @Gnetzer in die Runde, der zur Re:Publica in der Stadt weilte.

Als es schließlich etwas zu kühl wurde, zogen wir uns zurück in die unterschiedlichen Schlafstätten. Schließlich sollte es am nächsten Morgen früh losgehen. Die Barkassenfahrt mit der Veronica gen Stadion stand an. Um Acht mit @Nedfuller getroffen, dem Berliner Nahverkehr anvertraut und tatsächlich pünktlich am DDR Museum. Nach und nach trafen auch die anderen Mitfahrer ein, so dass wir schließlich komplett an Bord gehen konnten. Danke nochmal an @Saumselig für die Orga! Ein entspannter Trip in einer extrem durchmischten Besatzung konnte beginnen.

Gastraute und St. Pauli-Fans vereint im in die Kamera-gucken.

Man beachte die Mütze von Herrn Nedfuller. Aber wie man sieht: Alles friedlich! 🙂

Die Sonne schien, der Kaffee schmeckte und es gab Brötchen mit Käse und Ei. Ich habe selten so viel Spass gehabt, auf dem Weg in ein Stadion. Wechselgesänge mit anderen Barkassen, sinnloses Winken (und es winkt wirklich jeder zurück), schnacken und plötzlich waren wir an der Alten Försterei. Dumm nur, dass der Anleger hier gefühlt für ein Ruderboot gedacht ist. Dumm auch, dass wir mit drei Barkassen kamen. Das Aussteigen gestaltete sich also etwas komplizierter und langwieriger. Dazu kam dann noch, dass die Herren von der Polizei wohl nicht ganz damit gerechnet hatten, dass hier friedliche Fans unterschiedlicher Vereine quasi Hand in Hand aus dem Schiff kommen würden. Irritierte Blicke und eine gewisse Unsicherheit, was das “Sortieren” der Fanmassen anging, war jedenfalls die Folge.

Am Stadion trennten sich die Wege dann. Die Bezugsgruppe und ich kletterten auf die Gästetribüne auf der wir dann noch @Gnetzer einsammelten, der sich am Vormittag bei seinen Gastgebern sehen lassen musste. Kaum drin, fing das Spiel auch schon an.

Alte Försterei, Berlin.

Im Stadion kurz vor Anpfiff. Schmucke “Arena”, das!

Freistoss von Torsten Mattuschka, 1:0 für Berlin, kurz darauf Fernschuss durch Charles Takyi und es stand 1:1. Danach plätscherte es so dahin, bis kurz vor Schluss die Berliner den 2:1 Endstand erzielten. Selber Schuld, muss man unseren Jungs wohl zurufen. 60 Minuten des Spiels mehr oder weniger verpennt und primär durch eher unpräzises und inkonsequentes Spiel aufgefallen.

Naja, Schwamm drüber, inzwischen weiß ich ja auch, wie sich die Tabelle einen Spieltag später darstellt.

Ich bin ja sonst eecht nicht wirklich Berlin-Fan, also was die Stadt angeht. Aber das war schon ganz großes Auswärtsspiel-Tennis. Wenn man den sportlichen Aspket mal beiseite lässt.

Und wieder einmal fragte ich mich, warum es eigentlich nicht immer so geht… Warum es bei so vielen Vereinen (und unseren schließe ich da bewusst nicht aus) so viele Menschen gibt, die mit den Fans anderer Vereine eben kein entspanntes Bierchen trinken können.

Naja, sei es drum. Danke an die tollen Gastgeber @rudelbildung und @saumselig, danke an die Gastraute für einen Abend und U-Bahn-Netz-Fremdenführerin @pleitegeiger für den tollen Berlintrip. Und natürlich an den Rest des Rudels für einen insgesamt großartigen Fußballausflug!