Unschuldsvermutung

„Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“ (Wikipedia)

Tja. So ist das wohl. Eigentlich. Und natürlich haben diejenigen recht, die sagen, dass von dieser (leider) immer häufiger abgewichen wird. Und natürlich gibt es daran sehr viel berechtigte Kritik.

Nachdem die Polizei Hamburg eine klare „Null-Lösung (keine Gästefans) favorisiert hatte, erreichte der FC St. Pauli einen Konsens und einigte sich mit der Polizei auf folgendes Szenario:

  • Die Gastmannschaft Hansa Rostock erhält keine Stehplatzkarten.
  • Für die Nordtribüne Block N 5 im St. Pauli Stadion werden Hansa Rostock bis zu 500 Sitzplatzkarten zum personifizierten Verkauf, also gegen Vorlage von Personalpapieren, zur Verfügung gestellt.
  • Bei Einlass am Spieltag werden die Karteninhaber hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Erwerbs überprüft.
  • Die durch den limitierten Verkauf frei bleibenden Plätze dienen als Pufferzone zwischen den rivalisierenden Fanblöcken
  • (FC St. Pauli)

Der Zusammenhang könnte klar werden: Aufgrund der Ausschreitungen und Vorfälle in den letzten (eigentlich wohl in allen bisherigen) Spielen der beiden Vereine gegeneinander wird die Unschuldsvermutung eingeschränkt. Man geht eben nicht davon aus, dass die Gästefans – also die Rostocker – “unschuldig” sind, sondern gibt Ihnen vor einem möglichen Vergehen die Schuld.

Soweit, so möglicherweise trivial und entsprechend kritikwürdig.

Die Angst vieler, dass es zu einer immer weiteren Einschränkung von “Fanrechten” kommt, dass dies nur der Anfang ist, hängt damit natürlich zusammen. Dass dies ein weiterer Schritt ist, Auswärtsfans ganz zu vermeiden. Paranoia? Möglich.

Fakt ist, dass Fußballfans (dies trifft allerdings auch für andere Gruppen zu) schon lange außerhalb der Unschuldsvermutung leben. Eskorten zum und vom Stadion, im Block bleiben müssen, bis die Abwege frei von gegnerischen Fans sind, strikte Fantrennung. Alles Eingriffe in den Alltag, die sich nur durch die Abweichung von der Unschuldsvermutung erklären lassen. Wären wir ad hoc alle unschuldig, müsste man uns nämlich nicht regulieren.

Ehrlicherweise, muss man “uns” jedoch regulieren. Uns Fußballfans als große, heterogene Gruppe. Klar, werden viele aufschreien, “mich doch nicht, ich will mich ja nicht prügeln”, aber dass es – wohl bei jedem Verein – genug Idioten gibt, die genau das wollen, deren persönliche Hemmschwelle so niedrig ist, deren Gewaltpotential so hoch, wird wohl niemand abstreiten.

Was also tun? Unreguliert laufen lassen? Das Grundrecht der Unschuldsvermutung würde dies wohl so verlangen.

Wo macht man den Schnitt?

Wo sagt man “dieser Einschnitt ist nachvollziehbar und sinnvoll, dieser nicht mehr”?

Ich kann nachvollziehen, dass man (Die Polizei, die Vereine, der Staat, wer auch immer) etwas anderes versuchen will und muss, um Verbrechen zu verhindern. Dies geht leider nur mit Einschränkungen der Unschuldsvermutung. Ob es sinnvoll ist, das Kartenkontingent zu limitieren, oder ob jetzt 1.000 gewaltbereite Rostocker nach Hamburg kommen, nur um sich zu prügeln? Ich kann es nicht beurteilen. Wir werden es erleben.

Ich kann nicht sagen, inwiefern diese Einschränkung schlimmer ist, als andere Einschränkungen. Wahrlich nicht.

Aber: Wer jetzt aufschreit, sollte doch bitte nochmal global schauen, was dazu geführt hat. Unabhängig von Recht oder Unrecht.

St. Pauli-Fans, die in Rostock mit Bengalos auf Ordner schmeissen. Hertha-Fans, die den Platz stürmen. Nürnberger, die Ihren Block abfackeln. St. Pauli-Fans, die mit Feuerzeugen und Bierbechern auf Schiedsrichter, Ordner, Spieler werfen. HSV-Fans, die irgendwo auf dem Weg zum Auswärtsspiel einen Bahnhof verwüsten.

Ein kleiner Ausschnitt, aus dem, was “man” so mitbekommt. Und ein Ausschnitt aus dem, was jeden Spieltag wieder relativiert wird.

Wenn ich mich im St. Pauli-Forum umgucke, und sehe wie viele da den Standpunkt haben, dass ein “Feuerzeugwurf ja nicht so schlimm” wäre. Dass sowas “im Eifer des Gefechts” halt mal passiere. Hallo?!

Wenn Bengalos legal wäre, wäre das ja nicht passiert (Bezug: Nürnberg). Aha?

Wir alle wissen was wir nicht dürfen. Wir alle. Und wer es nicht weiß, sollte sich schleunigst informieren. Mein Eindruck ist sogar, dass viele es machen, weil es nicht erlaubt ist. Gerade um sich gegen etwas zu positionieren.

Und sich dann wundern, wenn es eine Reaktion gibt?

Selbstkontrolle, wollen wir zeigen. Aber wo ist die Selbstkontrolle? Wo ist das funktionierende Konzept von Fans, das Fans und unbeteiligte vor den Idioten schützt?

Wir, wir St. Pauli- und Rostock-Fans schaffen es seit fast 20 Jahren nicht, ein Konzept vorzulegen, mit dem die Sicherheit der Beteiligten gewährleistet wird. Aber sich beschweren, dass jetzt andere sich damit auseinandersetzen? Noch mal ein eigenes Konzept vorlegen?

Ja, ich sehe ein Ungleichgewicht zwischen beiden Fangruppen, ich halte die Rostocker für “schlimmer”, aber darum geht es gar nicht. Ich glaube, dass ‘wir’ St. Pauli-Fans weniger Mist machen. Aber wir machen Mist. Als Gruppe. Nicht als einzelner.

Und viele aus dieser Gruppe verstehen nicht einmal den Sinn, warum man die Mistmacher persönlich zur Rechenschaft ziehen sollte. Solidarität geht einigen scheinbar über alles.

Nur: Gerade wer diese Solidarität fordert, sollte sich noch weniger darüber wundern, wenn er dann auch in Haftung genommen wird.

Wer fordert, die aktuellen Sanktionen in einen größeren Gesamtzusammenhang zu stellen, muss damit rechnen, dass auch einzelne Aktionen von Fans in einem größerem Zusammenhang gesehen werden.

Ich kann nicht final sagen, wo ich welche Einschnitte in welche Rechte am Ende noch zu rechtfertigen finde, aber ich kann nachvollziehen, dass dieser gemacht wurde.

Eine wirkliche Bewertung geht – für mich – eben nur hinterher.

Ich unterstelle aber – sogar der hamburger Polizei – zunächst mal Motive, die ich mittragen kann. Wahrung der Sicherheit. Und das geht – leider – oft nur mit einschnitten.

Sonst dürfte ich – blöde gesagt – auch bewaffnet durch die Straßen laufen (hier greift ja quasi auch die Unschuldsvermutung, solang ich niemanden erschieße, bin ich unschuldig).

Äpfel mit Birnen? Vielleicht, aber ich hoffe es wird klar, was ich meine.

Und nun los. Zerlegt mich.

Pöbeln light

Wenn der Tabellenzweite gegen den Tabellensiebzehnten spielt…
Heimspiel für den Tabellenzweiten.
In einem Stadion das den Nimbus hat,ein ganz besonderes zu sein…
Ein Hexenkessel.
Ein Ort, indem Auswärtssiege besonders viel bedeuten, weil sie so selten sind…
Wenn der Gastgeber zudem in vier Rückrunden-Spielen ein Gegentor zugelassen hat. Und diese vier Spiele gewonnen wurden…
Wenn die Heimmannschaft diejenige, mit der stärksten Offensive der Liga ist…
Und den attraktivsten Fußball der Liga spielt…

…ist die Sache eigentlich klar, oder?

Dumm nur, wenn die Heimmannschaft FC St. Pauli heißt und aus Hamburg kommt. Dumm nur, wenn ein paar andere Rahmenbedingungen eintreffen:

Wenn die Lokalpresse seit Tagen nichtmehr darüber nachdenkt, ob, sondern nur noch wie hoch der Heimsieg ausfällt…
Wenn das Abendblatt “100 Gründe, warum St. Pauli aufsteigt!” veröffentlicht…
Und die Morgenpost auch…
Wenn selbst im Fanforum die Stimmen der Skeptiker langsam verstummen…
Wenn der Rasen aussieht, wie eine Pferdekoppel…
Und alle ehemaligen Angestellten des Vereins und Peter N*r*r*r bereits ein Interview zum Thema „Warum der FC St. Pauli aufsteigt“ geben durften…

Dann gibt’s ein 0:0.

Immerhin. Früher – also bis ungefähr letzte Saison – hätten wir so Spiele verloren.
Und die Fans hätten die Schuld dem Schiri, dem Platz, dem Trainer mit seinen komischen Auswechslungen, der Kälte oder der (je nach Perspektive zu lauten, zu leisen, zu ‘lala-singsang’ oder zu spielbezogenen) Stimmung im Stadion gegeben.

Eigentlich war das Spiel nicht mal so furchtbar schlecht. Nicht, wenn man als Vergleich ein Jahr zurückblickt. Die meiste Zeit recht souverän gespielt. Keine Chancen zugelassen, immer wieder angelaufen und versucht, was zu machen.

Uneigentlich – also im Vergleich zu den Spielen dieser Saison war das alles stark optimierungsfähig.

Spielerisch.

Man merkte dem Team an, dass sowohl Trainingsbedingungen als auch Platz nicht gerade zur derzeitigen Spielweise passten. In der ersten Hälfte gab es gefühlte 10 Mal die Situation, dass auf einer der Außenbahnen der Flügelspieler zum Doppelpass ansetzt. Etwas in die Mitte passen, nach vorne laufen, auf den Ball warten. Mindestens 9 Mal ging der Ball diesmal ins Aus. Sonst klappt das besser. Und wenn die Flügelspieler nicht nach vorne kommen, vor allem nicht mit Ball, gibt’s leider auch keine Flanken in den Strafraum. Keine Möglichkeit, an der Strafraumgrenze selbst in die Mitte zu ziehen. Sondern Einwurf. Für die anderen.

Uneigentlich stand Frankfurt aber auch einfach verdammt gut in der Abwehr. Clever und geschickt die Räume zugemacht. Die Passwege zugestellt. Das reichte gegen unpräzise Paulianer auf alle Fälle. Ob wir mit mehr Präzision zum Tor gekommen wären? Weiß nicht. Wäre auch ungerecht gegenüber den gut aufgelegten Gästen. Frankfurt war am Freitag einfach gut genug, um sich ein 0:0 gegen St. Pauli verdient zu haben. Gegen meinen eben nur mittelmäßig aufgelegten Zweitliga-Spitzenclub (Derzeit! Das ist keine allgemeingültige Einschätzung).

Eigentlich wollte ich am Freitagabend pöbeln. So richtig. Draufhauen. Im Blog!

Hallo? Wie kann man bitte…

wie können WIR bitte…

(bzw. die.. also, DIE Spieler)

…gegen den FSV Frankfurt verlieren unentschieden spielen?

Aber mit zunehmender Distanz.. Mund abputzen.

Letzte Saison gab es nach unentschieden oft Aufmunterungen von Freunden. “Super, nicht verloren, Ihr seid ja auch erst im zweiten Jahr in der zwoten Liga”…
DAS sollte eigentlich der Maßstab sein. Wir sind im dritten Jahr (wieder) Zweitligist. Wir spielen eine unglaubliche Saison. Teils wirklich genialer Fußball, wir sind – zurecht – zweiter. Mit immer noch 6 Punkten Vorsprung auf Platz 4.
Wir haben die meisten Tore geschossen.

Der FC St. Pauli.

Der sonst selbst in Aufstiegssaisons über den Kampf zum Spiel finden mußte.
Wir spielen wirklich tollen Fußball.
Da ist ein 0:0 gegen den Vorletzten ein Ausrutscher. Mehr nicht.

In einer Woche geht’s um die Tabellenspitze. In der Region. Traditionell schlechtes Pflaster für uns. Ich werte das mal als gutes Omen.Diese Saison ist genug anders, als sonst. Da schaffen wir das auch noch.

Auswärts sind wir eh besser als zuhause!

Fussball in der U-Bahn

Während ich vor Beginn der Rückrunde noch darauf hoffte, dass wir nicht abrutschen würden bin ich inzwischen ja doch etwas optimistischer.

Drei Spiele in Folge ohne Gegentore. Drei Spiele in Folge gewonnen. 5:0 Tore, 9 Punkte. Und das, obwohl wir in zwei Spielen Auswärts auftraten. Obwohl wir mit Duisburg und Aachen zwei Teams vor der Flinte hatten, die sich von den Zielen her sicherlich eher oberhalb des magischen St. Pauli einordneten. Vor der Saison.

Das Duisburg-Spiel mal wieder unterwegs erlebt. Dank des immer noch tollen AFM Radios und einem dafür ganz brauchbarem Handytarif über die “AFM-Radio-Telefonhotline” trotzdem fast live dabei. Auf dem Heimweg.

Ich war noch nichtmal in der U-Bahn, als das 1:0 fiel. Beschwingten Schrittes, breit grinsend, leise vor mich hin singend wanderte ich durch den Hauptbahnhof in Richtung U1. Dass ich mit St. Pauli-Mütze gerade durch die HSVer hüpfte, die auf dem Weg in den Volkspark waren fiel mir zum Glück erst auf, als ich schon wieder aus der Wandelhalle draußen war.

Kaum in der U-Bahn, gerade einen Sitzplatz gefunden, zog ich dann auch schon die Blicke der Mitfahrer auf mich… Auf dem Sitz rumwippend, breit grinsend, vor mich hinsummend – die beste Halbzeit seit Ewigkeiten. Wenn man nicht bald das Zweinull fällt, weiß ich auch nicht. Gedacht, gehört, gejubelt: 20. Minute. Deniz Naki. 2:0. Es hielt mich nicht so wirklich im Sitz. Kurz aufspringen, merken, dass ich nicht zuhause bin, wieder hinsetzen, in verwirrte Gesichter schauen. Gehört aber irgendwie auch dazu. Sollen die doch denken, was sie wollen.

Und wenn ich so drüber nachdenke – immerhin fuhr ich nicht zu meiner Mutter, die wohnt nämlich Nähe Elbgaustrasse. Das ist – für nichteinheimische – zwei Stationen hinter dem HSV-Stadion-Bahnhof. Und in der S-Bahn dorthin saß zu dem Zeitpunkt gerade eine etwas genervte HSV-Hooliganette auf der Suche nach ihrer Brille und vermutlich noch diverse andere HSV-Fans… Die hätten ihren Spass gehabt. 😉

Aber ich saß in der U1 Richtung Norden.

Hach.

20 Minuten Fußball und schon euphorisch, so muß das.

Als ich am Endbahnhof ankam, hätte es gefühlt 6:0 stehen müssen. Als ich dann nach Autofahrt und Kurzabstecher in den Discounter endlich zuhause war, stand es allerdings immer noch “nur” 2:0. Chancenverwertung my Ass. Aber okay, Chancen für ein 10:3 und 2:0 gewinnen ist mir deutlich lieber, als keine Chancen und verlieren.

Freitagabend, 19:45, Spitzenreiter Liga 2: FC St. Pauli.

Dass die Aachener montags dann zeigten, warum sie im Moment eben doch kein Spitzenteam der Liga sind, und sich der Region kampflos mit 3:0 ergaben nur ein unwichtiges Detail am Rande.

Ein Punkt hinter der Region auf Platz 1, an die wir uns nach und nach ranpirschen.
Fünf Punkte vor Rang 3, der immerhin noch zur Relegation berechtigt.
Acht Punkte vor einem Nichtaufstiegsplatz.

Wenn wir so spielen, wie in Duisburg, kriegen wir die Region auch noch.
Unsere Defensive steht inzwischen sicher. Torchancen und damit Tore kriegen wir im Moment offenbar immer.
Nur ein Spiel ohne St. Pauli-Tor in dieser Saison. In Bielefeld. Eines.

Jetzt folgen zwei Freitagabendflutlichtheimspiele in Folge. Gegen Karlsruhe (Tabellen 12., aber immerhin 4 Auswärtssiege) und Frankfurt (17. aber auch schon 3 Auswärtssiege) eigentlich Pflichtsiege. Mal schauen, ob wir nach der Kür auswärts in Duisburg jetzt auch die Pflicht hinbekommen. Aber ich bin optimistisch.