So schmeckt also Lenkrad

Eigentlich war alles halbwegs gut, bis ich mich zum Aufbruch bereit machte. Man soll sich halt echt nix vornehmen, wenn Fußball ist. Jedenfalls nicht wenn Fußball ist, den die eigene Mannschaft zelebriert arbeitet.

Aber von vorne:

Augsburg, dachte ich mir, müsste ja eigentlich eine schaffbare Aufgabe sein. Die hatten zuhause noch nicht so richtig überzeugt, und wir spielen ja in der Fremde sogar erfolgreicher, als zuhause. Deutlich. Klares Ding, eigentlich.

Nach einer halben Stunde fiel dann auch brav das erste Tor für unseren FC St. Pauli. Alles fein. So hatte ich mir das – ungefähr – vorgestellt. Alles lief nach Plan.

Dass der Schiedsrichter dann meinte für “den Ball dem Gegenspieler von hinten abnehmen und ihn im Anschluss daran zu berühren” mit einer roten Karte bestrafen zu müssen war mindestens eine harte, wenn nicht gar eine ungerechte Entscheidung. Hallo? Lechner spielt so dermassen eindeutig den Ball, bevor er dann auch den Gegner trifft? Niemals rot. Gelb. Vielleicht.

Ärgerlich. Sehr.

Naja, nach der Halbzeitpause mußte ich mich dann für die Abfahrt vorbereiten, in Gedanken verfluchte ich noch, dass ich mal wieder nicht geschaltet hatte, als ich “Sonntag, 15:30” als zulässigen Zeitpunkt für eine Verabredung akzeptiert hatte. Aber nun gut. Ich hatte eigentlich das Gefühl, meine St. Paulianer seien in besten Händen. Sozusagen.

Noch nicht ganz auf der Schwelle nach draußen fiel dann das ärgerliche 1:1 für die Augsburger. Super, so kann ich doch mein Team nicht einfach alleine lassen. Kaum gedacht, macht Morena das 2:1. Dummerweise nicht für seinen Verein, sondern als Eigentor. Hmpf. Und ich mußte los. Immerhin fühlte ich mich unschuldig an den beiden Gegentoren, ich war ja noch anwesend, als diese fielen. Konnte also sozusagen beruhigt abfahren, da meine Anwesenheit am Rechner heute ja eh nichts ändern würde.

Und, was soll man machen, die Twitter Gefolgschaft auf die letzten 30 Minuten einschwören und los.

Tweet vor dem Aufbruch

Im Auto Fußball erleben ist – und das war mir vorher gar nicht so bewußt – die Hölle.

Zunächst mal das Radio nach einem Sender durchwühlt, der irgendwas von dem Spiel bringen könnte.
Als ich dann NDR 1 Hamburg drin hatte, fast schon glücklich, als der Moderator direkt erwähnte, dass es sich um eine Sportsendung handeln würde, die sich in der nächsten halben Stunde “voll in den Endspurt der Zweitligapartien stürzt”.

Ich hatte mir also sowas erhofft wie… naja, sagen wir 15 – 20 Minuten Live aus den drei Stadien, in denen Zweitligafußball gespielt wurde.

Was ich bekam war…

Einen Moderator, der gefühlte 10 Minuten lang erzählte, wie toll die Sendung werden würde, weil diverse Highlights noch auf uns warten würden. In den nächsten 5 Stunden.

Daran anschließend irgendein komisches Lied, das nach einer Mischung aus Schlager und Volksmusik klang (also perfekt ausgewählt für das typische Fußballpublikum).

Eine Moderation, die nochmal ausgiebig (gefühlte 5 Minuten) anmerkte, wie toll es sei, dass ich gleich die spannende Endphase der Zweitligapartien hören dürfte und wie toll sie sei, dass sie uns das jetzt schon verrate.

Noch irgendwas Musikartiges, das aber irgendwann unterbrochen wurde.

Den Moderator, der ausführlich ankündigte, dass jetzt in die Stadien der spielenden Zweitligisten geschaltet würde, um die spannende Endphase der Spiele zu hören.

Und dann eine Schalte nach Fürth, die gegen Duisburg spielten. Ergibt Sinn, bei einem Sender, der ausschließlich in Hamburg sendet. Die haben am Abend bestimmt auch 2 Stunden über Bayern:Bayer berichtet um dann noch 2 Minuten auf HSV:Bochum einzugehen. Ist schließlich auch in Hamburg viel wichtiger.

Ach ja, und: 2 Minuten aus dem Stadion in Augsburg. Der Kommentator wußte nicht so recht, wie die Spieler hießen, und kam natürlich auch nicht auf die Idee, dem geneigten Zuhörer mal zu erklären, wie es eigentlich gerade steht. Ich mein, sicher, wir hören natürlich alle die ganze Zeit Radio. Ohne Unterbrechung.

Als dann der Moderator (muß so um die 85. Spielminute gewesen sein), wieder dran war, schaffte er es immerhin endlich, mal die Zwischenstände der Spiele zu benennen. Die Freude war natürlich groß, als ich – ungefähr 20 Minuten zu spät – erfuhr, dass wir gar nicht mehr zurück lagen. Jubelnd fuhr ich also weiter durch das Hamburger Umland. Da hatte sich @ring2 ja nicht lumpen lassen, als er den versprochen hatte.

Tweet von @ring2 "Ausgleich"

Natürlich mußte dann erstmal wieder zum Überrelevanten Spiel nach Fürth geschaltet werden. Natürlich nicht, ohne den exklusiven Hammergag, den vermutlich noch niemand vor ihm gemacht hatte: “Fürth führt nicht in Fürth, Fürth liegt zurück”. Wat hebt wi lacht. Nicht.

Und plötzlich grölte dann der Kommentator aus Augsburg dazwischen. “TOR IN AUGSBURG”. Hallo? WO das Tor gefallen ist, ist doch bitte echt zweitrangig, für WEN wäre spannend gewesen. Also wurde umgeschaltet nach Augsburg. Und der Kommentator erzählte mit Begeisterung von jubelnden Spielern, die quasi mit dem Abpfiff das Spiel entschieden hätten, von hängenden Köpfen auf der Gegenseite, von einem am Ende vielleicht glücklichem, aber nicht unverdienten Sieg.

Und nach realistisch wohl 30 Sekunden, gefühlt waren das eher 30 Minuten, erwähnte er dann beiläufig, dass ein Augsburger das Tor geschossen hatte. Für Augsburg.

Nach kurzem Schimpfen schlossen sich meine Zähne fest um das Lenkrad. So schmeckt das also.

Nie wieder Fußball im Radio. Echt nicht.

Ich meine.. Hey, wenn die eine Musiksendung machen, und in einer halben Stunde Musiksendung werden 7 Minuten Musik gespielt, beschwert sich doch vermutlich auch jeder, oder?

Nun denn. St. Pauli ist Immer noch Dritter. Und wie fast immer verbaseln wir die entscheidenden Spiele, um uns mal etwas abzusetzen. Okay. Auswärts kann man, nach roter Karte und ner Stunde in Unterzahl verlieren. Totzdem ärgerlich.

Und was lernen wir daraus?

Tweet: Mit nichts kann man euch alleine lassen

Das nächste Auswärtsspiel verbringe ich jedenfalls nicht im Auto. Definitiv nicht.

Hatte ich erwähnt, dass ich fast alle Radiosendungen und Sender hasse? Ich weiß wieder, warum.

Alle, alle Fragen – Reloaded

Vor 4 Tagen, das war am Donnerstag, schrieb ich was über das Thema Depression und Fußball, motiviert durch den Tod von Robert Enke.

Einen Tag später, am Freitag, gab der FC St. Pauli eine Pressemitteilung im Namen des St. Pauli-Spielers Andreas Biermann heraus.

Kurzfassung der PM: Andreas ist depressiv, seit einer Woche in stationärer Behandlung und hat ebenfalls versucht sich zu töten.
Zum Glück ohne Erfolg.

Irgendwie ist seine Aktion am Freitag, sein Schritt in die Öffentlichkeit, jetzt schon der erste, nächste Schritt.

Für Andreas war es sicherlich ein Riesenschritt. Ich bewundere seinen Mut. Gerade in seiner Situation sicherlich alles andere, als einfach. Aber genau das richtige.

Die Reaktionen, die ich mitbekam, waren ausschließlich positiv. Aufmunternd, respektvoll, akzeptierend.

Vielleicht kann Fußball ja doch was bewirken, außerhalb des Platzes.

Und wenn es nur das ist, dass sich mehr damit auseinandersetzen, was psychische Erkrankungen eigentlich sind. Dass mehr lernen, dass es hier um Krankheiten geht. Genauso wie bei Grippe.

Was man nicht kennt, macht Angst, was man nicht versteht, wird abgelehnt.
Plötzlich „kennen“ alle Depression. Wenigstens über den Fußball. Plötzlich erklären alle Depression. Wenigstens im Ansatz.

Vielleicht kann Fußball ja doch was bewirken.

Gute Besserung, Andreas. Komm in Ruhe wieder auf die (selischen) Beine.

Alle, alle fragen

jeder, jeder will es wissen.
Warum, warum kommt Ihr klar,
wieso, wieso geht es mir beschissen.
(Die Fantastischen Vier – “Ernten was wir säen”)

Irritierend, wenn man von einem Ereignis betroffener ist, als man selbst vorher glauben würde.
Ich bin eigentlich schrecklich unsensibel, wenn es über meinen engeren Kreis, meine Freunde, Bekannten, meine Familie hinaus geht. Oder vielleicht eher ignorant. “Florian Lindner ist tot” hätte mir wahrscheinlich maximal ein ironisches Zucken der rechten Augenbraue entlockt.
“Robert Enke ist tot”. Die SMS, die ich von einer guten Freundin bekam, erreichte mich während einem Vortrag zum Thema Werbewirkung. Und löste irritierenderweise sofort Betroffenheit aus. Schockiertheit. Ich weiß bis heute nicht, warum. Hätte sie geSMSt “Gabor Kiraly ist tot” – ich hätte mich vermutlich gefragt, warum sie mir dafür eine SMS schreibt.

Aber so…

Und so wie mir ging es überraschenderweise vielen. Die Twittertimeline war fast witzfrei zu dem Thema. “Michael Jackson ist tot” – da boten sich die Witze ja fast an, aber hier

Betroffenheit. Schock.

Robert Enke ist tot. Gestorben – wenn man so will – an Depressionen.
Eine andere Freundin hat mir gegenüber mal erklärt, dass sie neben der Depression an sich fast genauso viele Probleme damit hat, wie andere mit einem Umgehen. Dass viele einen mitleidig ansähen und dann etwas wie “stell Dich nicht so an, ich hab auch mal nen schlechten Tag” oder “Du mußt einfach positiv denken” sagen. Dass leider viele die psychischen Erkrankungen nicht ernst nehmen.

Sitz mal im Rollstuhl. Da glaubt Dir jeder, dass Du krank bist. Aber als Psycho: ‘Stell Dich nicht so an’. Das tut weh.

Komisch, eigentlich. In unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft. Psychosomatik ist inzwischen gefühlt weithin akzeptiert. “Bauchschmerzen, wegen dem ganzen Stress”. Kein Problem. Aber wenn es wesentlicher wird? Wenn es nicht mehr die Seele ist, die den Körper krank macht, sondern wenn die Seele krank ist? “Stell Dich nicht so an!”. Oder abschätzige Blicke. “Der bekloppte. Tickt nicht richtig. Hat ‘ne Schraube locker.”.

Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, depressiv zu sein. Ich weiß, wie sich Scheißtage anfühlen. Oder Depri-Phasen. Aber das ist vermutlich gar nichts, im Vergleich. Das ist vielleicht so wie Niesen im Vergleich zur schweren Grippe, oder zur Lungenentzündung.

Man stelle sich vor, wie das sein muß, wenn man tage- oder wochenlang jeden Tag aufwacht und man schwere Grippe im Kopf hat. Wenn man eigentlich nicht aufstehen kann. Nicht rausgehen. Nicht zur Arbeit. Wenn man zugleich nicht allein sein kann. Aber Gesellschaft auch nur stört. Wenn man keinen Ausweg mehr sieht.

Im Fall Robert Enke, keinen Ausweg, trotz auf den ersten Blick optimaler Bedingungen. Geldsorgen dürfte er keine gehabt haben. Von außen eine tolle Familie. Eine Frau, die ihn offenbar liebt, eine kleine Tochter. Acht Monate. Wie schlimm muß es jemandem gehen, der scheinbar auch aus Liebe zu dieser Tochter, aus Angst, sie zu verlieren, so schwarz sieht?

Plötzlich sagt niemand mehr “stell Dich nicht so an”.

Warum nicht? Ist es Akzeptanz, die hier plötzlich auftaucht? Oder ist es nur der Respekt vor einer “großen” Persönlichkeit.

Warum gehen plötzlich 50.000 Fußballfans zur Trauerfeier. Von einem, der “ne Schraube locker” hat? Fußballfans, die gerade im Stadion nichts weniger sind, als sensibel und zurückhaltend.

Robert Enke war mir bis zu seinem Tod relativ egal.

Ich fand ihn im Fußballzirkus, wenn ich mal ein Interview sah, sympathischer als die anderen. Hatte das Drama um seine erste, verstorbene Tochter am Rande erlebt. Hielt ihn für reflektierter als die meisten anderen Spieler. Mehr nicht.

Und er wird, da bin ich mir sicher, nicht nur mir bald wieder genauso egal sein. So ist das Leben, so ist der Lauf der Dinge. Ich kannte und kenne Robert nicht. Niemand von uns tut das. Aber vielleicht führt sein Tod, dieser Tod dazu, dass sich ein paar mehr mal darauf einlassen, zu akzeptieren. Zu akzeptieren, dass man auch im Kopf krank sein kann, ohne Operationsmöglichkeit, und dass man trotzdem nicht bescheuert ist. Ernst zu nehmen, wenn es jemandem “grundlos” schlecht geht. Dann hätte Roberts Tod, so zynisch das klingt, die Welt tatsächlich etwas besser gemacht.

Wäre ein Anfang.