„Die sind sonst nie im Stadion“

Montag früh, U-Bahn in die Stadt. Den ersten Arbeitstag der Woche vor sich. Ein eher handlicher gestaltetes Hamburger Tagespresseerzeugnis auf dem Sitz gegenüber. Nun gut. Reinschauen kann man ja mal. Mal gucken, Bundesliga-Nachlese kann ja ganz unterhaltsam sein wenn der Vorstadtrivale unter seinen Möglichkeiten agierte.

Denkste.

Drei Seiten und einen Kommentar später ist mir jegliche Schadenfreude über die Heimniederlage der Volksparker abhanden gekommen.

Nach dem ersten (!) Heimspiel und einem im Vergleich zu den Erwartungen erfolgreichen Start in die Saison (immerhin 3:3 auf Schalke. Besagtes Presseerzeugnis schreibt da noch vom „starken HSV“) wird der Leser der Tagespresse mit einem Kommentar begrüßt, der mir zumindest zeigt, wie wenig es noch um Sport geht.

„Schadenersatz“.

Dass zum Sport, dass zum Fußball auch Niederlagen gehören – egal.
Dass es irgendwo dazugehört, auch mal kräftig auf die Nase zu kriegen – Wen kümmert’s.
Dass es ein einziges Spiel war – wozu berücksichtigen?

Schadenersatz für eine Niederlage. Warum nicht gleich „Scheissmillionäre“?

Weiter hinten im Heft dann „Versager“ in der Überschrift. Wie war das damals noch mal, nach Enke? Hatte die Presse nicht erklärt, man wolle sensibler berichten?

Nach einem missratenen Spiel „VERSAGER“?!

Weiter geht’s mit den Schulnoten. Ja, ich weiß, sollte man eh nicht so ganz für voll nehmen, aber trotzdem. Genug Leser nehmen die nämlich auch ernst. Das ist halt das, warum schlecht gemachte Presse so gefährlich sein kann. Die Leser glauben es.

Der Torwart wird erst mal von jeglicher Schuld freigesprochen. Kann wohl nix für die Gegentore (vermutlich dank ‚desolater* Abwehr‘?). Wer weiß, ich habe das Spiel ja nicht gesehen.

Adler bekommt natürlich trotzdem eine 5.

Das ist ungefähr so, als bekäme man in der Englisch-Klausur eine fünf, weil der Sitznachbar und der beste Kumpel beide eine Sechs haben.

Auch sonst… wozu differenzieren. Der Rest des Teams irgendwo zwischen 5 und 6. Alle.

Dafür bekommt der nächste Stürmer, der sich 89 Minuten nicht am Spiel beteiligt, aber das entscheidende 1:0 schießt dann wieder eine eins. Wegen „hat das Tor getroffen“.

Um das noch mal mit der Englisch-Klausur zu vergleichen: Der hat gerade seinen Namen fehlerlos oben drauf geschrieben, aber weil morgen Wochenende ist und danach Klassenreise… naja.

Und wo ich mich schon mal aufrege, dann noch kurz online geschaut, was die letzten Tage so war.

„Horror-Show“, „Debakel“, „Hoffenheim Schmach“, „Grusel-Vorstellung“.

Reicht, oder?

Was der Kai hier so richtig über seine Vorstadtmitfans schreibt gilt leider auch für die Presse.

Ernsthaft: Die verlieren ihr erstes (!) Saisonheimspiel gegen einen Club aus der selben Liga und schon brennt nicht nur der Baum sondern der ganze Volkspark. Unterstellen wir einfach mal der HSV hätte nicht nur einen mäßigen, sondern der Gegener evtl. auch einen eher guten Tag erwischt. Welchen (sportlichen) Respekt zeigt man denen gegenüber eigentlich, wenn eine (höhere) Niederlage gefühlt vergleichbar ist mit einem Bombenangriff auf Bahrenfeld? Steht Hoffenheim schon als 18. fest und trifft diese Saison kein Tor mehr?

Nochmal für die sogenannten Sportjournalisten:

Beim Sport kann man auch verlieren. Das „gehört dazu“. Man kann sogar absteigen. Mehrfach. Das ist Teil der Idee. Man muss es nicht, und manchen gelingt es sogar, fast nie zu verlieren, aber bei den meisten passiert das mal mehr, mal weniger häufig.

Schon alleine deshalb, weil wenn einer gewinnt ja immer auch einer verlieren muss.
(ich weiß, das ist jetzt Logik, das ist etwas schwerer für Euch). 

Und wenn man einen Scheisstag erwischt, oder einfach nicht gut genug ist, verliert man auch mal höher. Das ist nicht schön, das macht keinen Spaß, das ist aber Teil des Spiels. 

Wie wollt Ihr das eigentlich noch toppen? Bei der zweiten Niederlage dann die Inhaftierung, bei der dritten die Todesstrafe fordern? Oder wenigstens den Kopf vom Mannschaftskapitän?

Schuss nicht gehört ist viel zu schwach. Wäre ich Journalist, müsste ich jetzt eine Ausrede auf dem „Die sind sonst nie im Stadion“-Niveau erfinden. Mindestens.

Kann man eigentlich Schadenersatz für schlechte Zeitungen fordern?
Ich frage für … naja, war ja nur gefunden.

Dabei wollte ich mich eigentlich nur ein bisschen über des Lokalrivalen 1:5 amüsieren.

Hybris

Die Hybris (griechisch „der Übermut“, „die Anmaßung“) bezeichnet eine Selbstüberhebung, die sich, insbesondere unter Berufung eines gerechten göttlichen Zorns, der Nemesis, rächen muss.

Der internationale Top-Trainer Ralf Rangnick ist unzufrieden mit der Situation bei seinem aktuellen Club. Denn mit “Mittelmaß” könne sich der erfahrene, international erfolgreiche, mehrfach ausgezeichnete Meistertrainer nicht identifzieren… Schließlich habe sogar Hannover 96 mehr Geld.

Vielleicht sollte man aber auch einfach mal auf sich selbst gucken. Eine Mannschaft die scheinbar das Potential hat eine Halbserie lang ganz vorne mitzuspielen, die die Hinrundentabelle souverän anführt nach der Winterpause zum letzten der Rückrundentabelle zu machen kann natürlich nur an der Mannschaft selbst liegen. An Verletzungspech (immerhin verletzte sich ein – wichtiger – Spieler). Dass auch der Trainer jetzt Trainer der schlechtesten Rückrundenmannschaft eventuell mit verantwortlich ist, kommt dem guten Herrn wohl nicht in den Sinn. Nein, der Etat muß erhöht werden, denn mit Mittelmaß kommt er nicht klar. Geht gar nicht.

Ich hab mich ja gestern schon gefragt, was er macht, wenn er in den Spiegel schaut (gemeint ist jetzt das reflektierende Ding an der Wand).
Sich übergeben? Den Waffenschrank sehnsüchtig anstarren? Oder einfach die Augen schließen, den Kopf schütteln und weitermachen, wie bisher? Immerhin schaut ihm da Mittelmaß entgegen. Als sportlich verantwortlicher des tabellenneunten. Die Mitte. Und damit, siehe oben, kann sich Herr Rangnick ja nicht identifizieren.

Aber bestimmt sind sowieso nur die anderen schuld, diejenigen, die nicht noch mal 20 Millionen oder mehr in den Kader stecken wollen.

Oder doch Hybris?

Doping im Fußball

Wenn ein Radfahrer bei der Tour de France dabei erwischt wird, wie er sich 10 Minuten auf seinem Hotelzimmer einschließt, bevor er zur eigentlich direkt nach dem Rennen geplanten Dopingprobe geht, bricht die Presselandschaft in großartige Spekulationen aus, was besagter Radler denn alles gemacht haben könne, in den 10 Minuten. Sein Urin durch anderes austauschen, sich einen falschen Penis umschnallen, sich irgendwas spritzen, dass irgendwas anderes neutralisiert oder wenigstens nicht nachweisbar macht. Whatever. Auf jeden Fall macht sich dieser Radler höchst verdächtig. Skandal.
Denn wir wissen ja alle: Alle professionellen Rennradler dopen.

Wenn zwei Fußballer in einer Bundesligapartie für 10 Minuten in der Kabine verschwinden, um danach zur obligatorischen Dopingprobe zu gehen, dann haben die zwei selbstverständlich nicht gedopt, nichts böses getan und sind nur Opfer einer Organisationspanne. Die Mannschaftsbesprechung, der Trikottausch, der kurze, aber falsche Abstecher war schließlich nur ein Versehen. Bagatellfall.
Denn wir wissen ja alle: Fußballer dopen nicht.

Lassen wir mal kurz ausser Acht, dass mich durchaus eine gewisse Häme erfüllt, dass ausgerechnet Hoffenheim es schafft, sich einer bekannten Regelung zu widersetzen und dadurch in die Schlagzeilen gerät.

Völlig unabhängig davon ist es doch so, dass diese Regelung offenbar in anderen Vereinen durchaus bekannt war und auch so umgesetzt wurde. Spiegel Online hat ein paar Verantwortliche dazu befragt und der Tenor ist offenbar der, dass ein Verschwinden der für die Dopingprobe ausgewählten Spieler ein absolutes No-No ist. Da dort auch der Verantwortliche des FC St. Pauli befragt wurde, ist davon auszugehen, dass man in Hoffenheim dieser Regelung auch schon im letzten Jahr, in der zweiten Liga unterworfen war. Man kennt das also eigentlich schon seit einer Weile. Und eigentlich erwarte ich auch von Fußballern, wie Andreas Ibertsberger und Christoph Janker, dass sie diese Regelungen kennen. Es wird auch für sie nicht das erste Mal gewesen sein. Und wenn doch – wenn Kollegen dorthin entschwinden, bekommt man das ja auch mit.

Herr Rangnick behauptet natürlich munter das Gegenteil. Es sei völlig üblich, dass die Spieler auch noch mal mit in die Kabine dürften. Besonders beeindruckt hat mich diese Aussage:

Es sei jetzt aufzuklären, warum die Spieler „in der Wahrnehmung der Dopingbeauftragten“ zu spät gekommen sind.

Schööön die Schuld auf andere schieben. Die Spieler sind nämlich gar nicht zu spät gekommen, der Dopingbeauftragte hat nur irrtümlicherweise bereits in der 80. Spielminute mit dem Erscheinen der beiden gerechnet.

jetzt geistern munter Strafvermutungen durch den Raum. in Italien wurden zwei Spieler für jeweils ein Jahr gesperrt. Mindeststrafe der WADA, der Dachorganisation der Dopingbekämpfer. Weil sie eine halbe Stunde zu spät kamen. Ich sehe keinen großen qualitativen Unterschied zwischen den beiden Vergehen.

Und natürlich finden jetzt alle diese Strafen viel zu hoch. Schließlich hätten die beteiligten ja gar nicht gedopt (die Proben waren ja negativ!), sondern seien “nur zu spät gekommen”.

Wenn man jetzt aber mal darüber nachdenkt, warum die Spieler direkt nach dem Spiel zur Dopingprobe sollen, wird das ganze schon weniger Eindeutig: Diese 10 Minuten können nämlich genau dazu führen, dass eine sonst positive Dopingprobe negativ wird. Ich unterstelle das den beiden gar nicht, ich kann mir durchaus vorstellen, dass es wirklich nur eine “Panne” war. Aber trotzdem – sowas darf einfach nicht passieren.

Der Radfahrer aus dem Beispiel oben hätte am nächsten Tag 30 Presseberichte gegen sich. Zurecht.

Die aktuelle Logik der Argumentation kann man – zynisch – nämlich auch wie folgt anwenden: Wenn ich mit 200 Km/h durch eine Tempo 30-Zone rase und niemanden anfahre, dann muß ich doch eigentlich auch nicht bestraft werden, immerhin ist ja nichts passiert, oder?

Genau, völlig falsch.

Und genauso ist es völlig falsch, die beiden Spieler und den dazugehörenden Verein (der laut WADA nämlich dafür verantwortlich ist, eine betreuende Person zu benennen, die sich darum kümmert, dass die betroffenen Spieler rechtzeitig zur Probe erscheinen) jetzt mit Glacéhandschuhen anzufassen.

Das mögliche Strafmaß des Handelns sollte gerade den Verantwortlichen in Proficlubs sehr bewußt sein. Was in Italien passiert ist, ist ja absolut nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gewesen. Und entsprechend ist zu erwarten, dass man mit entsprechender Sorgfalt damit umgeht. Allein um solche (möglicherweise subjektiv empfunden heftigen Strafen) von den eigenen Spielern fernzuhalten. Wer jetzt aufschreit und so tut, als wäre das alles völlig überraschend und “so ja nie zu erwarten gewesen” heuchelt entweder, oder weiß es tatsächlich nicht besser und zeigt damit seine unprofessionalität.
Nochmal: Es gibt in jedem Verein eine Person, die genau dafür verantwortlich ist, sich darum zu kümmern. Die muß sowas wissen.

Wer mit 200 durch die Tempo 30 Zone rast, sollte wissen, dass er sich damit ein Fahrverbot von 3 Monaten einhandelt. Sollte zumindest wissen, dass er damit einen schweren Fehler macht, der, wenn er erwischt wird eben zu Konsequenzen führt.
Von Profisportlern ist das auch zu erwarten. Das ist Teil ihres Berufs.

Wenn die Spieler und ihr Verein jetzt mit einem vorsichtigen Klaps auf die Finger davon kommen, sendet die DFL ein sehr fatales Zeichen: Schon nicht so schlimm, die Dopingrichtlinien sind nicht soooo wichtig, macht ihr nur. Doping ist ja kein Problem.

Und genau das, gilt es zu vermeiden. Der Fußball soll und muß weiterhin sauber bleiben. Das kann aber nur dann erreicht werden, wenn konsequent auf die Einhaltung der dafür relevanten Regeln geachtet wird. Und wenn die Spieler bestraft werden, werden sie ja genau dafür bestraft, dass sie die Regel nicht eingehalten haben. Nicht dafür, dass sie gedopt haben. Das wäre nämlich noch viel schlimmer.