Demokratie, GEZ und das ZDF

Ich gebe ja offen zu, dass ich nur selten direkt auf politische Entscheidungen eingehe hier. Denke das wird auch so bleiben. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich nicht für Politik interessiere. Heute hat mich das Reizzentrum auf ein großartiges Tool aufmerksam gemacht:

Das Parlameter

Das Parlameter ermöglicht es, sich das Abstimmungsverhalten der Bundestagsabgeordneten im Detail anzusehen. Dabei sind alle so genannten „Namentlichen Abstimmungen“ berücksichtigt.Wer hat dafür, wer dagegen gestimmt, wer hat sich enthalten etc.. Finde ich ganz großartig. Das ist wirkliche Transparenz. Und da erfüllt das ZDF dann meiner Wahrnehmung nach auch mal wieder den Job den es eigentlich hat: Gute, unparteiische Informationen liefern. Dinge wie diese sind es, die dazu führen, dass ich für ein Gebührenfinanziertes Rundfunkprogramm bin. Und Dinge wie diese sind es auch, die zumindest ein wenig rechtfertigen können, dass die Öffentlich-Rechtlichen sich auch Online präsentieren.

Ich habe immer noch enorm viel am bestehenden System auszusetzen. Aber man muß ja auch mal positives hervorheben 🙂 In diesem Sinne: Danke ZDF für eine positive Überraschung.

Protestwegschalten

Dank der olympischen Spiele ist ja mal wieder das Thema “Was darf man im Fernsehen gucken” in der Öffentlichkeit und damit auch in den Medien.

Lustigerweise ungefähr bis 20 Minuten vor Beginn der ersten Übertragung.

Denn wenn erst einmal Spiele sind, schauen am Ende doch wieder (fast) alle. Und der ach-so-wichtige politische Aspekt tritt in den Hintergrund.
Ich würde ja sagen “hab ich ja vorher gesagt”. Hab ich aber nicht. Nur gedacht.

Irgendwo hab ich am Samstag nach der Eröffnungsfeier gelesen, dass damit ja auch die Hoffnung auf politische Veränderung verbunden sei. Immerhin hätten Chinesen auch für die Mannschaft von Taiwan geklatscht. Ich sag jetzt mal nichts über naive Idealisten und so.

Schön, wenn ihr das glaubt. Und wenn ihr damit die Ausrede habt, die Spiele so zu bejubeln wie jedes Mal. Bitte. Macht das.

Aber zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Das “Wegschalten” aus Protest. Die damit verbundene Logik sagt ja ungefähr:
“Wenn ich Sendung XY nicht schaue, dann sinken die Einschaltquoten und damit die Werbeeinnahmen. Dadurch werden die Sender dann dazu gebracht die Sendung nicht mehr zu zeigen/produzieren, weil sie damit kein Geld verdienen”.
Dieses Motto wird für Olympia dann noch ungefähr soweit verlängert dass ja dann
“China damit weniger Einnahmen generiert und deshalb über seine Politik nachdenkt”.

Schritt 1:
Rein faktisch werden die für Werbespendings relevanten Einschaltquoten ungefähr wie folgt ermittelt: Es gibt eine Auswahl an Haushalten, in Deutschland sind das knapp 6.000, die von der GfK ein Gerät bekommen. Diese Haushalte sind zufällig ausgewählt – also quasi nach den Grundlagen der repräsentativen Stichprobenziehung. Das heißt sie können als Stellvertretend für die Gesamtmenge der Fernsehgucker in Deutschland verstanden wirken. Wenn also jemand der so ein Gerät zuhause stehen hat eine Sendung guckt, steht er damit für 1/6.000 der Gesamtbevölkerung. Jeder andere (!) kann sehen was er will oder nichtsehen was er will. Es hat keinen Effekt auf die “Einschaltquoten”. Natürlich hat es einen reellen Effekt auf die Gesamtanzahl derjenigen die eine Sendung schauen, nur merkt es eben niemand so wirklich.

Wenn ihr also aus politischen Gründen wegguckt, wird das höchstwahrscheinlich niemand mitbekommen, der an irgendeiner entscheidenden Stelle sitzt.

Schritt 2:
Die Werbeausgaben werden in der Regel vorher vereinbart. Das heißt, dass China bzw. das IOC bereits den Betrag X einplanen kann. Wenn jetzt niemand zuschaut, beißen sich die Sponsoren möglicherweise sonstwohin und ärgern sich, möglicherweise werden die Werbeausgaben für die nächsten Spiele (London) auch gesenkt. Aber in Beijing ist der Umsatz den die Briten mit “ihren” Spielen machen vermutlich ziemlich irrelevant.

Wenn ihr also wegguckt, wird das höchstwahrscheinlich nicht die Chinesen treffen.

Schritt 3:
China ist eine Volkswirtschaft mit irgendwo um/bei 1,3 Milliarden Einwohnern. 1.300.000.000! Diese Volkswirtschaft hat im Jahr 2007 allein Waren im Wert von 955 Milliarden US$ eingeführt. 955.000.000.000! Die Spiele in Turin und Peking haben Marketingeinnahmen in Höhe von 5 Milliarden Dollar generiert. Nehmen wir einfach mal an, dass davon ein größerer Teil durch die Sommerspiele kommt. Meinetwegen 3,5 Milliarden. Das sind 3.500.000.000. Rechnet das einfach mal gegeneinander. Das sind pro Chinese gerade noch 2,70$. Im Umkehrschluss hätte das den Effekt, den es in Deutschland gehabt hätte, wenn die WM 2006 160 Millionen Dollar eingebracht hätte. Wenn überhaupt. Und jeder der WM Hauptsponsoren hat damals allein 40 Millionen investiert.

Und diese Einnahmen gehen ja nichtmal vollständig nach Beijing. Die Relevanz der reinen Geldumsätze ist also klar.

Wenn ihr also was anderes schaut, interessiert das in China finanziell erstmal niemanden.

Schritt 4:
Aber das Image!
Ja, China ist sicherlich darauf bedacht durch die Spiele sein Bild im Rest der Welt positiv darzustellen. Aber mal ehrlich, glaubt ihr dass ein paar Deutsche, die sich die Spiele nicht ansehen da wen kümmern? Die Spiele sind eine Demonstration wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Eine Demonstration logistischer Fähigkeiten. “Seht her, die Chinesen können sowas organisieren”. Und am Ende ist es das, was für die Organisatoren zählt. Nicht dass es “sympathisch” war.

Wenn ihr also wegseht, werden eure nächsten Turnschuhe vermutlich trotzdem in China zusammengeklebt.

Fazit:

Schaut ruhig was anderes, guckt weg, wenn ihr möchtet. Vielleicht interessiert es euch auch einfach nicht. Alles kein Thema. Aber hört doch bitte auf mit zwei Dingen:
Anderen zu erzählen, wie sie sich richtig verhalten müssten, um die Ungerechtigkeit in dieser Welt zu lindern und zu behaupten ihr würdet die Welt retten.

Macht ihr nicht.

So schon gar nicht.

Und was jetzt?

Wenn ich mich in den letzten Wochen oder Monaten in meinem erweiterten Bekanntenkreis umschaue, bekomme ich ungefähr folgenden Eindruck von mehr oder weniger relevanten Themen des Alltags:

  • Benzin ist zu teuer und wird immer teurer
  • Meine Geldanlagen sind in den letzten Monaten entwertet worden
  • Den Regierenden ist egal wie es dem Volk geht, die wollen nur ihren eigenen Vorteil
  • Wir brauchen dringend schärfere Gesetze, wer hier alles mit Bewährungsstrafen davon kommt…
  • Der Umweltschutz muß viel mehr beachtet werden
  • Firmen die aus Deutschland abwandern vernichten hier wichtige Arbeitsplätze
  • Milch ist viel zu billig, die armen Bauern
  • Die Regierung(en) sind unfähig
  • Der Kaffee aus Fairem Handel in Südamerika ist der beste
  • Wir verschwenden Energie, wir müssen dringend was tun um unseren Energieverbrauch zu senken
  • Die Lebensmittelkosten treiben uns noch alle in den Ruin
  • Die Großkonzerne sind böse und wollen nur unser Geld
  • In der dritten Welt verhungern viele, weil sie weder Arbeit noch Lebensmittel zum überleben haben
  • Im idealfall ernährt man sich von Lebensmitteln die von lokalen Landwirten kommen
  • Die Vorstände stecken sich doch eh alles in die eigene Tasche
  • Ohne Auto kann ich mich gleich umbringen, wie soll ich dann irgendwohin kommen
  • Die Gesetze sind viel zu überzogen, man kann sich ja nichtmehr frei bewegen ohne auf Schritt und Tritt verdächtigt zu werden

Die Liste könnte ich noch eine Weile so weiter führen. Viele der Aussagen darin können wechselseitig von ein und der selben Person in unterschiedlichen Unterhaltungen gekommen sein.

Aber das Dilemma könnte sich da oben schon abzeichnen. Was oder wohin wollen wir eigentlich? Individualisierung um jeden Preis. Persönlicher Wohlstand und Wahlfreiheit, Entscheidungsfreiheit, berufliche Perspektiven, Bildung, Arbeit und Flexibilität für jeden. Umweltschutz, Gleicherechtigung. Spass am Leben, Freizeit, Urlaub in fremden Ländern, Kulturelle autonomie. Schutz vor Kriminalität, freiheit des Einzelnen. Deutliche Verbesserung der Ausgangsbedingungen der Menschen in den Drittwelt- und Schwellenländern.

Das Problem damit ist nur, dass wir (alle) offenbar Ziele und Wünsche haben, die sich widersprechen. Wer sich für mehr Umweltschutz ausspricht muss Konsequenterweise klar gegen den Individualverkehr wie er heute praktiziert wird sein. Wer gegen die Dominanz von Großkonzernen ist, und dafür, dass denen “mehr auf die Finger geschaut wird”, muß konsequenterweise für einen stärker reglementierenden Staat sein. Wer mehr Individualismus möchte, kann eigentlich nicht für mehr Demokratie sein. Wer für bessere Bedingungen in anderen Ländern ist, darf sich nicht darüber beschweren, wenn gleichzeitig die Bedingungen hier schlechter werden. Einfache Mengenlehre: Wenn es Menge N zu verteilen gibt, und in einer Ecke der Welt zuwachs benötigt wird, dann muß irgendwo anders N weniger werden.

Mein beschränkter Horizont bietet mir folgende Kontrast-Szenarien an: Entweder wir entscheiden uns für ein weitgehend individualisiertes System, mit den bekannten Schwächen. Ausreißer, die über die weichen Grenzen hinaus schießen, mögliche Dominanz von einzelnen (bzw. einzelnen Organisationen), Verteilungswettkampf, Entwicklung. Oder wir legen uns fest. Definieren, was für jeden das Beste ist und versuchen eine Gesellschaft zu schaffen, in der jeder das für ihn “Beste” bekommt.

Klar gibt es Mittelwege, aber im Großen und Ganzen läuft es doch auf diese beiden Varianten hinaus. Und die Mittelwege bringen die dauernde Balance zwischen beiden Extremen mit sich.

Nur wo ist dieser Mittelweg? Was wollt “ihr”? klar weiß jeder (mich eingeschlossen) hunderte Dinge, die ihm nicht passen. Aber was passt uns? Und was muß wie laufen, damit es uns nicht mehr nicht passt? Was sind (eure) wesentlichen Ziele, von denen ihr denkt, dass wir alle, die Welt, die Gesellschaft, sie erreichen muß? Was sind die Opfer, die ihr dafür bereit seid zu bringen? Lippenbekenntnisse sind immer einfach. Die 20 Cent für Biomilch tun mir nicht weh, aber wo ist die Grenze?

Schreibt was! In euren Blogs oder hier in den Kommentaren. Würde mich wirklich über Feedback oder den einen oder anderen Beitrag freuen! Ich werde mich dann auch mit “meiner” Perspektive revanchieren. Curis Weltmodell.