Ich bin ja sicher lange nicht der einzige, der in den letzten Wochen und Monaten viele kluge, weniger kluge, polemische oder dröge Texte zum Internet als solches, zur gesellschaftlichen Integration, zu den Konsequenzen von Killerspielen, zu den Auswirkungen von Freiheit etc. gelesen hat.
Das Thema ist in Kleinbloggersdorf und in Twitterhausen im Moment ja auch ganz weit oben, auf der Tagesordnung. Gleich nach dem neuen iPhone. Und Fußball! 😉
Meine Eltern kauften sich einen 64er, als ich noch tief in der Grundschule steckte. Mein kindliches Sozialleben bestand daraus, dass wir bei dem einene Freund im Garten Fußball spielten, bei dem anderen Freund in der Wohnung saßen und mit Autos spielten und eben bei mir zuhause am 64er sassen und am Bildschirm spielten. Decathlon. Autorennen. Das muß sowas wie 1984 gewesen sein.
Mein bester Freund hatte auch einen 64er. Stundenlang saßen wir zu zweit oder zu dritt mit seinem Bruder davor und spielten. Zu zweit, zu dritt. Zusammen. Über den Computer lernte ich bereits damals andere Menschen kennen. Einen Teil der Freunde von Freunden lernte ich nur kennen, weil “Die auch einen haben”. Soziales leben durch nicht statt des Computers.
Heute, 25 Jahre später lebe ich mit mindestens einem Bein online. Einen großen Teil meines Freundeskreises kenne ich “aus dem Netz”. Ich habe wichtige und weniger wichtige Freundschaften geschlossen. Online. In den letzten 12 Monaten habe ich mindestens 15 Menschen persönlich kennengelernt, ausschließlich weil ich blogge und twittere. Kennengelernt im richtigen Leben. Hier, im Internet.
Ich bin Teil der Generation C64, aber ich bin viel mehr, ich bin Teil der Generation Always On, der Generation Amiga 500, der Generation iPhone. Ich arbeite im und mit “dem Netz”, lebe in und mit “dem Netz”, konsumiere und veräußere hier Waren, lese und schreibe her. Wenn ich etwas ulkiges oder spannendes erlebe ist einer der ersten Gedanken “kann ich das bloggen? Twittern? Wo ist mein Handy?”.
Das Internet ist für mich inzwischen Kneipe, Clubheim, Dorfzeitung, Fernseher, Arbeitsplatz, Bibliothek, Arzt, Freund, Feind, Leben. Es ist kein Werkzeug mit dem ich bestimmte Ziele erreichen kann, es ist viel mehr. Es ist ein integraler Bestandteil meines Lebens.Mit millionen Facetten.
Soviel zu meinem Selbstverständnis.
Wenn ich mir ansehe, wer auf der anderen Seite des Zauns “Internetbewohner” lebt, sehe ich auch Menschen, für die das hier alles maximal ein mehr oder weniger praktisches Werkzeug ist. “Ging ja auch vorher, geht ja auch ohne”. Die “das Netz” vielleicht als das verstehen, was es ganz am Anfang einmal sein sollte. Information.
Für die das Internet vielleicht ab und zu mal Ersatz für den Buchladen ist, vielleicht Ersatz für die Post, vielleicht sogar Ersatz für die Tageszeitung oder die Enzyklopädie. Aber eben nicht mehr. Nicht mehr als Ersatz.
Und mit diesem Selbstverständnis ist klar, dass man ohne Nachdenken, ohne ein Gefühl für die Tragweite von Einschnitten Dinge verändern, sperren, zensieren, rausnehmen kann, ohne das es subektiv ein Problem ist.
Blöde gesagt: Wenn wir hier einen Buchladen schließen, gibt’s ja noch den im Einkaufszentrum, der ist eh viel gemütlicher als dieses Internet und außerdem kommen diese Stubenhocker dann auch mal raus. Und das man im Fernsehen um 18:00 keine Filme ab 18 sehen darf stört doch auch keinen.
Wichtige Informationen verschicken die nämlich immer noch per Post. Nicht per Mail, FTP, ICQ. Gespräche finden am Telefon statt, nicht über Skype, nicht vor der Webcam.
Ein wesentlicher Teil derjenigen, die in unserem Land (und vermutlich ist das in anderen Ländern nicht großartig anders) Recht schaffen, gehören zu denen. Das ist soweit erstmal gar nicht weiter schlimm, nicht weiter verwerflich. Das Problem ist, dass man aus ihrer Perspektive nicht verstehen kann, was hier passiert. Und offenbar oft auch nicht versteht oder einsieht, dass “das Internet” alles, aber kein Rechtsfreier Raum ist. Aber ein anderer Raum als alles, was wir sonst so kennen. Anstatt volksverhetzende Bücher “einfach” aus dem Verkehr zu ziehen, reicht es hier nicht die Quelle zu löschen, es gibt unter Umständen nämlich schon tausende Kopien.
Nur: Wenn ich hier einen Film “klaue” und erwischt werde, werde ich dafür bestraft. Genau so, wie ich bestraft würde, erwischte man mich dabei wie ich im Medienmarkt eine DVD einstecken würde, ohne zu zahlen. Wenn ich hier – und wenn es auch nur in einem kleinen Kommentar ist – jemanden Beleidige, kann ich dafür Angezeigt und – wenn es das Gericht so will – verurteilt werden. Und hier steht das ganze schwarz auf weiß. Nicht Aussage gegen Aussage.
Aber scheinbar will das nicht in die Köpfe derer, die unser Recht in ihren Händen halten. Ihr recht basiert auf dem, was ihnen vertraut ist. Das Leben da draußen, auf der Straße, in den Buchläden. Nicht auf diesem Leben hier. Das ist nämlich das eigentliche Problem. Nicht das “rechtsfreie” Internet (das es de facto nicht gibt), sondern das Internetfreie Recht. Das Recht, das sich in den Köpfen der Menschen entwickelt, die nicht im sondern maximal neben dem Internet leben.
Wir brauchen nicht mehr Recht im Netz, wir brauchen mehr Netz im Recht!