jeder, jeder will es wissen.
Warum, warum kommt Ihr klar,
wieso, wieso geht es mir beschissen.
(Die Fantastischen Vier – “Ernten was wir säen”)
Irritierend, wenn man von einem Ereignis betroffener ist, als man selbst vorher glauben würde.
Ich bin eigentlich schrecklich unsensibel, wenn es über meinen engeren Kreis, meine Freunde, Bekannten, meine Familie hinaus geht. Oder vielleicht eher ignorant. “Florian Lindner ist tot” hätte mir wahrscheinlich maximal ein ironisches Zucken der rechten Augenbraue entlockt.
“Robert Enke ist tot”. Die SMS, die ich von einer guten Freundin bekam, erreichte mich während einem Vortrag zum Thema Werbewirkung. Und löste irritierenderweise sofort Betroffenheit aus. Schockiertheit. Ich weiß bis heute nicht, warum. Hätte sie geSMSt “Gabor Kiraly ist tot” – ich hätte mich vermutlich gefragt, warum sie mir dafür eine SMS schreibt.
Aber so…
Und so wie mir ging es überraschenderweise vielen. Die Twittertimeline war fast witzfrei zu dem Thema. “Michael Jackson ist tot” – da boten sich die Witze ja fast an, aber hier
Betroffenheit. Schock.
Robert Enke ist tot. Gestorben – wenn man so will – an Depressionen.
Eine andere Freundin hat mir gegenüber mal erklärt, dass sie neben der Depression an sich fast genauso viele Probleme damit hat, wie andere mit einem Umgehen. Dass viele einen mitleidig ansähen und dann etwas wie “stell Dich nicht so an, ich hab auch mal nen schlechten Tag” oder “Du mußt einfach positiv denken” sagen. Dass leider viele die psychischen Erkrankungen nicht ernst nehmen.
Sitz mal im Rollstuhl. Da glaubt Dir jeder, dass Du krank bist. Aber als Psycho: ‘Stell Dich nicht so an’. Das tut weh.
Komisch, eigentlich. In unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft. Psychosomatik ist inzwischen gefühlt weithin akzeptiert. “Bauchschmerzen, wegen dem ganzen Stress”. Kein Problem. Aber wenn es wesentlicher wird? Wenn es nicht mehr die Seele ist, die den Körper krank macht, sondern wenn die Seele krank ist? “Stell Dich nicht so an!”. Oder abschätzige Blicke. “Der bekloppte. Tickt nicht richtig. Hat ‘ne Schraube locker.”.
Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, depressiv zu sein. Ich weiß, wie sich Scheißtage anfühlen. Oder Depri-Phasen. Aber das ist vermutlich gar nichts, im Vergleich. Das ist vielleicht so wie Niesen im Vergleich zur schweren Grippe, oder zur Lungenentzündung.
Man stelle sich vor, wie das sein muß, wenn man tage- oder wochenlang jeden Tag aufwacht und man schwere Grippe im Kopf hat. Wenn man eigentlich nicht aufstehen kann. Nicht rausgehen. Nicht zur Arbeit. Wenn man zugleich nicht allein sein kann. Aber Gesellschaft auch nur stört. Wenn man keinen Ausweg mehr sieht.
Im Fall Robert Enke, keinen Ausweg, trotz auf den ersten Blick optimaler Bedingungen. Geldsorgen dürfte er keine gehabt haben. Von außen eine tolle Familie. Eine Frau, die ihn offenbar liebt, eine kleine Tochter. Acht Monate. Wie schlimm muß es jemandem gehen, der scheinbar auch aus Liebe zu dieser Tochter, aus Angst, sie zu verlieren, so schwarz sieht?
Plötzlich sagt niemand mehr “stell Dich nicht so an”.
Warum nicht? Ist es Akzeptanz, die hier plötzlich auftaucht? Oder ist es nur der Respekt vor einer “großen” Persönlichkeit.
Warum gehen plötzlich 50.000 Fußballfans zur Trauerfeier. Von einem, der “ne Schraube locker” hat? Fußballfans, die gerade im Stadion nichts weniger sind, als sensibel und zurückhaltend.
Robert Enke war mir bis zu seinem Tod relativ egal.
Ich fand ihn im Fußballzirkus, wenn ich mal ein Interview sah, sympathischer als die anderen. Hatte das Drama um seine erste, verstorbene Tochter am Rande erlebt. Hielt ihn für reflektierter als die meisten anderen Spieler. Mehr nicht.
Und er wird, da bin ich mir sicher, nicht nur mir bald wieder genauso egal sein. So ist das Leben, so ist der Lauf der Dinge. Ich kannte und kenne Robert nicht. Niemand von uns tut das. Aber vielleicht führt sein Tod, dieser Tod dazu, dass sich ein paar mehr mal darauf einlassen, zu akzeptieren. Zu akzeptieren, dass man auch im Kopf krank sein kann, ohne Operationsmöglichkeit, und dass man trotzdem nicht bescheuert ist. Ernst zu nehmen, wenn es jemandem “grundlos” schlecht geht. Dann hätte Roberts Tod, so zynisch das klingt, die Welt tatsächlich etwas besser gemacht.
Wäre ein Anfang.